ANGELO BONATI, PANERAI | EINE MARKE, EIN LEBEN

Der Lotse geht von Bord


Der Mann, der die Italo-Marke gross gemacht hat, tritt ab: Angelo Bonati übergibt das Ruder seinem Nachfolger. Zeit also für einen Blick zurück auf eine grossartige Marken-Saga.

Pierre-André Schmitt

Nein», sprach Angelo Bonati bestimmt in den Telefonhörer, «nein, das tun wir nicht – auf keinen Fall!» Am anderen Ende war ein Mitarbeiter aus Neuenburg, der im Fundus der Marke Panerai eine Serie alter Werke gefunden hatte. «Sie sind ziemlich verrostet», hatte der Mann erklärt, «wir werfen sie weg, oder?»

Bonati, eben Panerai-Chef geworden, reiste umgehend nach Neuenburg, um die Werke zu begutachten. Und das war ein weiser Entscheid. Die 16-Linien-Handaufszugswerke mit der Kaliber-Nummer 618 trugen nämlich alle einen echten eingravierten Rolex-Stempel. Das belegte zunächst natürlich eine erstklassige Provenienz. Vor allem aber versprach es einen grossen Erfolg bei Uhrensammlern.

Genau so kam es auch: Angelo Bonati liess die 60 aufbereiteten Werke in Platingehäuse einschalen und brachte sie für 20’000 Euro pro Stück auf den Markt. Sie waren in zwei Wochen ausverkauft.

Heute ein Vermögen wert

Das war 1997 die erste Spezialserie von Panerai. Und wer damals zuschlug, hat vielleicht die Investition seines Lebens gemacht. 20 Jahre später jedenfalls, am 19. März 2017, kam ein Stück dieser PAM21-Serie bei Christie’s für 87’900 Euro unter den Hammer. Heute bezahlen Sammler für die Uhren im 47-Millimeter-Gehäuse gut und gerne 100’000 Euro. Oder mehr.

Die Episode lehrt uns zwei Dinge über Bonati: Er hat erstens ein untrügliches Gespür für gute Geschäfte. Und er setzte zweitens von der ersten Stunde an auch auf die Sammler. 

März 2018. Ein Lächeln huscht über das Gesicht von Angelo Bonati, Jahrgang 1951. Er sitzt entspannt im Genfer Panerai-Büro an der Place de Longemalle und freut sich noch heute spitzbübisch über den Coup mit den alten Rolex-Werken. Die Richemont-Gruppe, die Panerai eben erst für rund eine Million Euro gekauft hatte, spielte allein mit diesem Geschäft den Kaufpreis wieder ein. Es war ein guter Start für die Marke.

Heute hat Bonati allerdings nicht nur Grund zum Lachen. Der Mann, dessen Lebenswerk die Marke Panerai ist, gibt das Ruder an Jean-Marc Pontroué ab. Ganz einfach, man merkt es, ist das für ihn nicht. Panerai, das war immer Bonati. Und Bonati war immer Panerai.

Keine Sekunde gezögert

Schon als Kind hatte ihn das Ticktack fasziniert, und schon als Kind wollte er es genau wissen: Mit einem Schraubenzieher rückte er einmal der Taschenuhr seines Grossvaters zu Leibe, demontierte sie fein säuberlich in ihre Einzelteile – und brachte sie nie wieder zusammen. 

Als ihm viel später Richemont-Mann Franco Cologni den Panerai-Chefposten anbot, zögerte Angelo Bonati keine Sekunde. Nach einem Abstecher zur Trussardi-Gruppe, zu Cartier und anderen Luxusmarken landete er da, wo er offensichtlich hingehörte: «Es war von Beginn an eine Liebesbeziehung – wie zwischen einem Mann und einer Frau», erinnert er sich. «Als ich die erste Panerai-Uhr sah, war es um mich geschehen. Ich verzichtete auf ein anderes gutes berufliches Engagement, obwohl ich den Vertrag dafür bereits unterschrieben hatte. Ich sah in Panerai eine Art Bestimmung.»

Zu Recht. Heute hat Officine Panerai 700 Mitarbeiter. Und darauf ist er stolz. Im Februar 1997, als er die Marke übernahm, gab es einen einzigen: Angelo Bonati.

«Ich war ganz allein im Büro», erzählt er. «Es gab ein Pult, einen Stuhl, einen Computer, einen Telefon­apparat, ein Ficus-Bäumchen, ein Fenster, eine Tür – sonst nichts, keine Assistentin, gar nichts.» 

Viel mehr als der Name der Marke war in der Tat nicht vorhanden. Man wusste zwar, dass die italienische Marine auf Panerai gesetzt und damit die unerschrockenen Torpedo-Kampfschwimmer der Eliteeinheit «Gamma» ausgerüstet hatte – das wars dann aber auch schon. Auf drei weissen Seiten Papier begann Bonati deshalb einen Businessplan auszubrüten und hauchte der Marke so frisches Leben ein.

Zupass kam ihm ein zweiter Fund: 400 alte Gehäuse der Florentiner Marke gab es noch, 600 zusätzliche liess Bonati produzieren. Und so entstanden die 1000 ersten Panerai-Uhren unter seiner Ägide. Es gab sechs Luminor- und drei Mare-Nostrum-Modelle. 

Angelo Bonati packte die neun Referenzen in ein Köfferli und tingelte zu seinen Kunden. «Das hier ist wie ein Zug», sagte er den Bijoutiers jeweils über seine Marke. Der Zug sei eben losgefahren. Und wer aufspringe, könne vielleicht Geld verdienen, viel Geld. Er könne aber auch alles verlieren. Eine Garantie auf Erfolg gebe es nicht. 

Wer aufspringen wollte, musste, um beim Bild zu bleiben, gleich einen ganzen Waggon reservieren. «Ich verlangte ein Commitment», erinnert sich Bonati. «Wer einsteigen wollte, musste mindestens 30 Uhren an Lager nehmen.»

Die Uhr kostete 3,95 Millionen Lire, umgerechnet 2000 Euro. «Ich will 200 Exemplare», sagte ein Händler spontan. – «Die Uhren sind viel zu gross», meinte ein anderer und liess den Zug abfahren.

Richtige Brummer

Tatsächlich waren die Uhren für die damalige Zeit gewöhnungsbedürftig: Mit ihren 44 Millimetern Durchmesser waren sie richtig dicke Brummer – es gab nichts derart Grosses auf dem Markt. Und überhaupt nichts Vergleichbares. Man liebte sie auf Anhieb, oder man konnte gar nichts damit anfangen. Günter Blümlein, der eben die Marke IWC saniert hatte und das Abenteuer A. Lange & Söhne in Angriff nahm, erkannte das Potenzial allerdings sofort: «Wir beide wissen, dass das ein Erfolg wird», sagte er bei einem Treffen zu Bonati. Und als Panerai 1998 erstmals am Genfer Uhrensalon SIHH präsent war, rieb sich mancher erstaunt die Augen: Fans standen in einer langen Schlange vor dem Stand.

Bonati hatte einen Nerv der Zeit getroffen. Er setzte kompromisslos auf Design und einen Entwurf, der auf der militärischen Vergangenheit der Marke beruhte. Äusserlich würde eine Panerai fortan immer wie eine Panerai aussehen: «Man darf keine Angst davor haben, Uhren zu machen, die den Vorgängermodellen gleichen», sagte er gerne. «Man kann immer etwas Kleines ändern, einmal am Zifferblatt, einmal am Gehäuse, einmal am Band. Aber unsere Uhren müssen zwingend als Panerai erkennbar sein.» 

Und genau das waren sie auch. Die Stücke fielen auf – und konnten deshalb erst recht den Augen nicht entgehen, die von Berufes wegen besonders wachsam sind. Als Bonati zwecks Werbung für seine Marke nach New York reiste, hatte er die neun ersten Referenzen dabei: «Just samples», sagte er zum Zöllner, der misstrauisch geworden war, Bonatis Gepäck durchsuchte und triumphierend die Uhren herauszog. Papiere dafür hatte der junge CEO nicht und wurde prompt als Schmuggler identifiziert. Hilfe kam schliesslich vom fünften Zöllner, der ursprünglich aus Neapel stammte. «Du bist Italiener, nicht wahr?» , meinte er, legte ein solidarisches Wort für ihn ein, und man liess ihn springen. 

Jetzt geht der Lotse von Bord. Und das hat bei Angelo Bonati eine wörtliche Bedeutung. Er ist erstens der Baumeister und Chefkapitän der Marke gewesen. Und er hat das immer mit einem Flair für die Schifffahrt getan, für die klassische Schifffahrt, um genau zu sein. «Dass das Meer für uns eine Rolle spielen müsste, war angesichts unserer Geschichte klar», sagt Bonati. «Wir hätten uns also fürs Tauchen entscheiden können, mit Bildern von schön farbigen Fischen und so. Doch das machen schon sehr viele Marken.» Bei der Welt der Motoryachten vermisste der Chef emotionale Werte. Aber bei den klassischen Segelyachten schmolz er dahin: «Klassische Yachten sind pure Emotion, sie lassen niemanden kalt.»

Schon gar nicht den leidenschaftlichen Segler Bonati selber. Er sei wohl verrückt geworden, kommentierte ein guter Kollege, als er vernahm, dass Bonati die klassische Yacht «Eilean» von 1936 kaufen wolle. Denn eine Yacht war das Boot nicht mehr, vielmehr ein totales Wrack. Doch der Panerai-Chef schlug ein, liess das Boot renovieren und flog jeden Freitag zur Werft, um die Arbeiten zu begutachten und weitere Anweisungen zu geben. 60’000 Arbeitsstunden später war die «Eilean» wieder flott – und sogleich wichtigster Ambassador der Marke.

Dass er verrückt sei, höre Angelo Bonati immer wieder – etwa als er partout ein Manufakturwerk für seine Uhren wollte. Ohne eigenes Werk, so sagt er gerne, sei man nur eine Private-Label-Marke. Das Argument verfing bei Richemont-Chef Johann Rupert: Seit 2005 hat Panerai eigene Werke und eine Manufaktur in Neuenburg.

Wie gesagt: Man sieht es Angelo Bonati an, dass er das Ruder der Marke nicht freudig aus der Hand gibt. Aber sein Blick zurück ist alles andere als traurig: «Alles in allem hatten mein Team und ich eine gute Zeit», sagt er. «Daran gibt es nichts zu rütteln.» |


 

Aus Watch Around N° 28Mai 2018

 
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INHALTSVERZEICHNIS:
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