GÜNTER BLÜMLEIN | WÜRDIGUNG

Der Langstreckenmann


Er zählt zweifellos zu den prägenden Uhrenpersönlichkeiten der Neuzeit. Auch wenn er ein Unvollendeter blieb. 2018 wäre er 75 geworden. Das Portrait von einem Autor, der ihn sehr gut gekannt hat. 


Manfred Fritz*

Der Schleier der Neuheit lag noch über der letzten Produktentscheidung seines Lebens, als Günter Blümlein am 1. Oktober 2001 starb. Das Geheimnis wurde erst ein halbes Jahr später am Genfer Uhrensalon SIHH gelüftet, wohin IWC mit umgezogen war: Die Grosse Fliegeruhr, ein typischer Blümlein – authentisch, mächtig, unverwechselbar und sehr männlich. 

Diese kleine Metapher will sagen: Der Esprit, der Korpsgeist, das grosse uhrmacherische Engagement und der unbändige Wille zum Erfolg, womit er ab 1981 zuerst die Schaffhauser Manufaktur und dann ab 1984 Jaeger-LeCoultre aus dem dunklen Tal der Schweizer Uhrenkrise zurück ins gleissende Licht schob, haben auf eine sehr fassbare, dauerhafte Weise überlebt. Nicht nur mit vielen ikonischen Produkten, Blümlein hat auch die uhrmacherische Identität der Marken wieder freigelegt. Und das gilt erst recht für die Neubelebung von A. Lange & Söhne im sächsischen Glashütte nach dem Mauerfall – zusammen mit Walter Lange, dem letzten Urenkel des Firmengründers. 

Für Blümlein, den Deutschen aus Nürnberg, wo einst Peter Henlein gewirkt hatte, war vor allem das eine emotionale, «patriotische Tat». Aber er mochte auch das Bild, das ihn als einen Mann beschrieb, der stecken gebliebene oder gefallene Unternehmen wie Eisenbahnen wieder auf die Gleise stellte, sie zum Laufen brachte und sich dann daran


Lebensdaten Günter Blümlein

  • Geboren 1943 in Nürnberg.

  • Ausbildung zum Dipl.-Ing. Feinwerktechnik.

  • Berufliche Stationen:

  • Diel-Konzern: Entwicklungsingenieur, Leiter Qualitätswesen Junghans, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb Junghans.

  • IWC: 1981 beratende Tätigkeit, 1982 Geschäftsführender Direktor, ab 1990 Präsident und Delegierter Verwaltungsrat, ab 1997 Präsident des Verwaltungsrats.

  • Jaeger-LeCoultre: ab 1984 Präsident des Verwaltungsrats, ab 1987 Präsident und Delegierter des Verwaltungsrats.

  • Lange: ab 1990 Geschäftsführer.

  • LMH: ab 1997 Präsident und Delegierter des Verwaltungsrats.

  • Richemont: ab März 2001 Vorstandsmitglied, zuständig für Uhrenbereich (ausser Cartier).

  • Gestorben im Oktober 2001.


freuen konnte, wie sie auch ohne seine ständige Präsenz auf Erfolgskurs blieben. Dreimal hat das wunderbar funktioniert.

$Im Frühjahr 2018 wäre Günter Blümlein 75 Jahre alt geworden. Die Jahre rückwärts bis zu seinem Tod im Oktober 2001 fehlen somit. Aber ein Blick zurück, gewissermassen an das viel zu frühe Ende seiner Möglichkeiten, lässt erahnen, was er in der Folgezeit noch hätte bewegen können. 

Es war dies übrigens auch das letzte Jahr an der Basler Uhrenmesse. Die von ihm geführte Uhrengruppe LMH (Les Manufactures Horologères) war kurz zuvor aus dem industriellen Bestand des Mannesmann-Konzerns an Richemont übergegangen, da pendelte er noch einmal wie gewohnt zwischen seinen in der Halle 1 verteilten Perlen der Haute Horlogerie. Korrigierte da ein Detail der Dekoration, liess dort eine Lampe neu einstellen, verbreitete hemmungslos gute Stimmung und selbstbewusste Zuversicht. War wie immer ebenso gefragter wie polyglotter Gesprächspartner der Medien und der Kunden aus aller Welt. Aber auch ein bisschen Abschied lag in der Luft. 

Denn der Wechsel der drei LMH-Firmen von Basel zum Genfer Uhrensalon war so gut wie beschlossen. Und Blümleins erwartete Berufung in den Vorstand von Richemont, wo er für den neu gegliederten Uhrenbereich und damit zusätzlich für die Marken Baume & Mercier, Piaget, Vache-­ ron Constantin sowie Officine Panerai die Verantwortung übernahm, wurde noch vor Ende der Messe bestätigt. Es war ein offenes Geheimnis, dass ein erheblicher Teil des Kaufpreises für LMH seiner Person und seiner Expertise geschuldet war. 

Viele Gespräche endeten damals mit der Frage: Wie viel «Blümlein» bleibt jetzt noch für uns? Denn alle Mitarbeiter seines engeren Arbeitsumfeldes waren stolz darauf, mit ihm einen der kompetentesten, interessantesten und erfolgreichsten Manager der gesamten Uhrenbranche an ihrer Spitze zu wissen. Einer, der als Ingenieur erstens etwas von den Produkten verstand, sich zweitens aber auch in die Wünsche und Emotionen der Kunden hineindenken konnte. Der genau wusste, was die Uhren aus einer seiner Manufakturen von denen anderer Hersteller unterschied und begehrlich machte. 

Wo er war, gab es niemals Stillstand. Das war das Gegenteil von bequem. Doch es war ungeheuer anregend und hilfreich. Wenige Wochen nach Basel, mitten in der Vorbereitung für seine neue, erweiterte Aufgabe, dann die schockierende Diagnose, der auch eine intensive Therapie nichts von ihrer Endgültigkeit nehmen konnte. 

Die Ideale Verbindung

Um Günter Blümlein, seinen Stil und sein Erfolgsrezept als Manager besser verstehen, vielleicht auch erahnen zu können, wie er auf die vielfältigen aktuellen Herausforderungen der Uhrenindustrie heute reagieren würde, muss man sein Verhältnis zu IWC genauer betrachten. 

Denn IWC und Blümlein, das war immer eine ideale Verbindung. Als er 1981 in die Manufaktur am Rhein kam, die wie alle anderen unter den Folgen der Schweizer Uhrenkrise litt, begriff er sofort, dass er sein optimales Betätigungsfeld gefunden hatte: eine lange Manufakturtradition, die Liebe zur Mechanik, den ausgeprägten deutsch-schweizerischen Ingenieursgeist und einen grossen Namen, der mit neuen, zeitgemässen Inhalten gefüllt werden musste. 

Der japanischen Quarz-Invasion zu Billigpreisen, welche die gesamte Branche an den Rand der Existenz gebracht hatte, setzte er nicht den Super-Quarz im Goldgehäuse entgegen, sondern als Marktkenner mit visionärer Begabung – faszinierende Mechanik. Sein Credo: Wir machen die mechanische Uhr wieder richtig spannend, jetzt erst recht. 

Und er behielt recht. Die bereits eingeleitete Kooperation mit Porsche Design brachte neue Boliden hervor, die vorher niemand zu denken gewagt hatte – männlich, sportlich, extrem bis zum Einsatz von zuvor ungewöhnlichen Materialien wie Titan oder später Hightech-Keramik für Gehäuse. Man kann sich an etliche Uhren aus dieser Zeit noch gut erinnern: Titan-Chronograph, Kompassuhr, Ocean. Blümlein war es aber auch, der 1985 mit dem Kalendarium-Chronographen Da Vinci den Startschuss für die Renaissance der komplizierten Mechanik zu bezahlbaren Preisen gab und IWC in diesem Segment erstmals verankerte. Dafür gab er Kurt Klaus, dem Erfinder des bis heute in seiner einfachen Bedienung unerreichten Ewigen Kalenders den nötigen Rückhalt. Und er brachte intern und von ausserhalb die besten Leute zusammen – für das nächste Grossprojekt.

im Olymp der haute Horlogerie

Mit der ersten Grande Complication fürs Handgelenk 1990 und der Destriero Scafusia zum 125-Jahr-Firmenjubiläum 1993 setzte er – typisch Blümlein – noch eins drauf und platzierte die Manufaktur endgültig im Olymp der Haute Horlogerie. Im Haus waren Talente wie Kurt Klaus, Robert Greubel, der Designer Hano Burtscher und etliche andere. Von aussen holte er Dominique Renaud und Giulio Papi dazu. Wie im Sport war das für ihn ein echtes Langstreckenrennen, denn Blancpain, damals von Jean-Claude Biver geführt, plante ebenfalls unter viel öffentlichem Getöse eine «grosse Komplizierte». Aber Blümlein brachte seine tatsächlich zuerst zur Serienreife und an die Messe. 

Programmatisch war auch seine Entscheidung, an klassische IWC-Traditionen anknüpfend, die Fliegeruhr, die Portugieser-Linie oder den wieder entdeckten Pellaton-Aufzug im eigenen Manufakturwerk mit dem Markenprofil zu verbinden, das bis heute klare Konturen aufweist. Die witzige IWC-Männerkampagne einer Zürcher Agentur hallt in der Branche heute noch nach. Auch wenn sich so etwas niemand mehr traut. 

Blümlein konnte, wenn sein Team mal wieder in einer der vielen Entwicklungssitzungen an einem neuen Projekt brütete, schwärmen und überzeugen, aber auch intensiv zuhören und Ideen anderer aufnehmen. Er führte am liebsten im Dialog, forderte den Widerspruch heraus und scheute auch Risiken nicht. Er mochte Offenheit und verachtete Anpassung. Aber dann, wenn alle schon erschöpft waren, konnte er auch mit einem feinen Lächeln sagen: «Sie haben mich überzeugt, meine Herren.» Und das galt. 

Möchte man aus seiner Art, das Uhrenbusiness erfolgreich zu betreiben, vielleicht gültige Schlüsse ziehen, dann zählt dazu ganz sicher seine Führung durch Überzeugung. Und die Freiheit, gute Leute nicht zu gängeln, sondern sie ihr Bestes tun zu lassen. Das prägte auch die Aussenwirkung der Marke. Er hasste grosse Marketingsprüche, aber aktivierte jede Menge «Adrenalin» im Kampf gegen die Uhrenlangeweile einer zu satten Branche. Und er war sich bei jeder der von ihm geleiteten Manufakturen ganz genau bewusst, dass sie komplementär oder ergänzend zu den anderen arbeiten musste. Jaeger-LeCoultre zum Beispiel durfte nicht nur, sondern musste sogar, anders als die Ingenieursmarke IWC, den von ihm eher kritisch gesehenen «Genfer Stil» atmen. In Le Sentier, wo viel altes uhrmacherisches Know-how zu Hause war, musste er Klarheit ins chaotische Sortiment bringen und das Profil der Marke schärfen. Er brachte, 60 Jahre nach der Premiere, 1991 die Reverso wieder auf die Bühne – ein Volltreffer – und schuf mit der eleganten Master-Linie ein zweites Standbein zum Monoprodukt der Wende-Uhr. 

Ganz anders bei Lange in Glashütte. Es war ein riskanter Drahtseilakt, mit dem grossen Namen einer nur noch in Sammlerkreisen existenten Marke in Sachen Preis und Leistung gegen die Schweizer Luxusuhrenindustrie anzustinken. Zumindest ein wenig. Besuchte man ihn einige Zeit vor dem Marktauftritt 1994 in Schaffhausen, zeigte er einem die Zeichnungen der Lange 1 und wartete gespannt auf ein Feedback. Was da entstand, war in der Tat das, was er die «neue deutsche Uhr» nannte – solide, schnörkellos, sehr hochwertig und ganz anders. Mit ihren dezentralen Anzeigen und dem Grossdatum fiel sie total aus dem Rahmen. 

«Vorwärtsmarketing»

Zu diesem gelungenen Projekt passt vielleicht ganz gut sein Begriff vom «Vorwärtsmarketing», das sich von so vielen kurzlebigen Zeitgeist-Übungen in der Branche unterscheidet. Und es war auch Blümlein, der immer wieder vor «Insider-Ermüdung» warnte, die einfach nicht mehr weiterdenke, weil es gerade so gut laufe. Das hat er vor mehr als 20 Jahren gesagt. Die Geschichte der Branche zeigt: Der Grat zwischen Selbstzufriedenheit und Entbehrlichkeit kann sehr schmal sein. Mehr Blümlein wagen, mit interessanten, technisch hochwertigen und zuverlässigen Produkten, das könnte durchaus als Motto über der Erinnerung an diesen aussergewöhnlichen Mann stehen. |


* Manfred Fritz, ehemaliger Chefredaktor der Rhein-Neckar-Zeitung, ist Autor zahreicher Bücher rund um IWC.


 

Aus Watch Around N° 31
September 2018

 
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