DOLCE & GABBANA | ALTA OROLOGERIA

Verspielt nachlässig statt
stur perfekt: Pure Italianità 
im fiebrigen Rokoko 


Vom Massenprodukt für allerlei Strassenstände zum exklusiven Produkt, das an Soirées auf Einladung für die Happy Few verkauft wird: Dolce & Gabbana hat die Uhrendivision umgekrempelt und mischt neuerdings im High-End-Bereich mit. Dank feiner Schweizer Technik im üppig verzierten Italo-Gehäuse

Christian Kaufmann

Wer hätte das voraussehen können? Bis vor zehn Jahren sahen Uhren von Dolce & Gabbana irgendwie nach nichts aus. Schon gar nicht hatten sie etwas gemein mit der Uhrmacherkunst, wie sie nördlich der Alpen praktiziert wird. Die Uhren mit D&G-Stempel, von Dritten in Lizenz gefertigt, überfluteten Boutiquen und Verkaufsstände – es gab echte und viele gefälschte, was bei den billigen Massenprodukten ohnehin keinen grossen Unterschied ausmachte. Aber Stefano Gabbana und Domenico Dolce erkannten rechtzeitig die Gefahr der Markenverwässerung – und nahmen das Schicksal ihrer Marke energisch in die Hand.

«Eine mutige Entscheidung», hiess es während der Baselworld bei der Mailänder Marken-Delegation, die sich im Nobelhotel Les Trois Rois ein Stelldichein gab. Nicht zu Unrecht: 2008 haben die beiden Partner alle Lizenzen gekündigt, Private-Label-Produzenten verlassen und quasi über Nacht auf einen Umsatz 450 Millionen Euro verzichtet, so man den Schätzungen der erwähnten Delegation trauen will.

Die Entscheidung sei richtig gewesen, betont der Chef der Uhrendivision. Heute übersteige der Umsatz die einst lizenzierten Verkäufe. Vor allem aber ist es Dolce & Gabbana gelungen, sich in der High-End-Uhrenindustrie einen Ruf mit Substanz aufzubauen.

Um davon überzeugt zu werden, brauchte man sich im Basler Nobelhotel nur in den roten Salon zu begeben und sich für einen Moment in den Details der Modelle der Linie Alta Orologeria zu verlieren – was übrigens unserer Haute Horlogerie entspricht, in charmanterer und höchst exklusiver Ausführung. Es gab funkelnde Schmuckstücke und einige grosse Komplikationen, darunter eine Reihe von Minutenrepetitionen der absolut beispiellosen Art.

2008 hatte das Unternehmen damit begonnen, bis dahin ausgelagerte Berufssparten zu integrieren. Die Abteilung Schmuck und Uhrmacherei wurde gegründet und ein Atelier in der Nähe von Mailand eröffnet. Goldschmiede wurden angeheuert, ebenso wie Gemmologen. Heute beschäftigt die Werkstatt 50 Mitarbeiter.

Die Uhrmacherei wurde etwas später als der Schmuck aufgegleist. Erste Stücke gab es 2012 zu sehen, langsam wuchs die Sache zum Erfolg, unterstützt vom Netzwerk von Dolce & Gabbana mit 300 Boutiquen. 

Von 2500 auf 4000 Euro

Auch die Reputation wurde allmählich aufgebaut. Was sich, wie der Leiter der Uhrendivision erklärt, auch im Anstieg des Durchschnittspreises widerspiegle. Beim Schmuck ist der Durchschnittspreis von 2500 Euro auf heute 4000 Euro gestiegen. Die Uhrmacherei folgt einem ähnlichen Trend.

Der obererste Uhrmacher bei Dolce & Gabbana weist auf eine grosse Box mit Modellen aus der Rainbow-Kollek­tion, einem D&G-Klassiker. «Hier sehen Sie Uhren für 2500 Euro, die sich sehr gut verkaufen», sagt er, «aber sie verkaufen sich immer noch schlechter als diese Uhr.» Worauf er auf eine blitzende Preziose mit vielen Edelsteinen zeigt, die 29’000 Euro kostet – und sich auch online sehr gut verkaufe.

Der Einstieg in die Luxusuhrmacherei geht auf das Jahr 2017 zurück. Da wurde zwischen Mailand und der Schweiz eine breite Brücke geschlagen. Der Vermittler, Michele Sofisti, ist im Jura bestens bekannt, er hatte lange die Gucci-Uhrensparte geleitet, bevor er Sowind mit den Marken Girard-Perregaux und JeanRichard führte und sich dann als unabhängiger Berater selbständig machte.

Dolce & Gabbana versuchte in der Uhrmacherei das zu erreichen, was in der Haute Couture und Haute Joaillerie geschafft worden war. Michele Sofisti brachte die Mailänder Werkstatt mit der Manufacture Hautes Complications (MHC) in Verbindung, einem Genfer Spezialitätenatelier, das von Pierre Favre gegründet worden war und derzeit 14 Mitarbeiter beschäftigt. Sofisti kannte das Team, da es Girard-Perregaux bei mehreren Entwicklungen begleitet hatte. Dolce & Gabbanas Einstieg in die «Alta Orologeria» führte daher logischerweise über dieses Atelier. 

Zurück nach Basel in die Gegenwart: Pierre Favre betrachtet die in Basel ausgestellten Stücke, und sein Blick strahlt eine Bewunderung aus, als schaute er auf Leistungen, die nicht seine eigenen sind. Und ein bisschen ist es auch so: Die Interaktion mit der Mailänder Marke, so sagt er, sei weit über das hinausgegangen, was er bisher gekannt hatte.

Nicht wie Schweizer Uhren

Betrachtet man die Kreationen im Detail, glaubt man es. Denn diese Uhren sehen nicht aus wie Schweizer Uhren. Beim Werk erkennt man zwar die Güte und den Geist der Genfer Uhrentradition. Auch Klangfarbe und die Handhabung der Minutenrepetitionen mit Tourbillon offenbaren die helvetische Herkunft. Aber es ist das Habillement, die Ausstattung, die fasziniert. Die Handwerker arbeiteten in einem Stil, der an die italienische Kunst erinnert – und an nichts anderes. Die Anmutung ist Rokoko-fiebrig. Alles ist in Gelbgold gemacht, alles wird von Hand graviert, alles ist bearbeitet: das Gehäuse, die Brücken, die Zifferblätter. Der Stil ist extrem aufgeladen. Die Stücke fühlen sich felskantig an, die Spuren der Gravur sind mit den Fingern spürbar, die Schweizer Hochglanz-Polissage bleibt hier aussen vor. Alles, was mit edlen Steinen gefasst werden konnte, ist gefasst, bis hin zum Drücker der Minutenrepetition. Es war eine besondere Herausforderung für die MHC-Uhrmacher, die technische Raffinesse mit der Üppigkeit der Verpackung zu verbinden.

Die Unikate werden an Soirées auf Einladung verkauft. Und alles an den Uhren ist bis ins kleinste Detail einzigartig. Sogar die Hörner, die mit relativer, um nicht zu sagen: nachlässiger Präzision platziert sind. Keines der Stücke ist wirklich identisch mit seinem Nachbarstück, es wie bei den Ornamenten eines Barockpalastes. Eine echte Lektion in italienischer Kreativität. |


 

Aus Watch Around N° 37
April/Mai 2019

 
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