WILHELM SCHMID, CEO A. LANGE & SÖHNE | INTERVIEW

» Wir machen die Dinge bewusst deutsch


Wenn A. Lange & Söhne einen Ewigen Kalender baut, soll er ganz einfach verstellbar sein. Und um Mitternacht das Datum sekundenschnell wechseln.     Wilhelm Schmid über deutsche Präzision, Schweizer Kunden, Fertigungstiefe. Und über eine Uhr, die ihm gestohlen wurde.


Interview: Pierre-André Schmitt

Herr Schmid, Sie haben eben die erste Boutique in der Schweiz eröffnet – und zwar in Zürich. Warum nicht in Luzern oder Genf?

Die Sprache, in der wir dieses Gespräch führen, gibt einen ganz guten Hinweis darauf, warum uns Zürich logisch erschien. Ich glaube, dass wir dank unserer Nähe in der deutschsprachigen Schweiz besser verstanden werden als vielleicht anderswo.

Mit anderen Worten: Sie haben hier die lokale Kundschaft im Visier und nicht die Touristen?

Touristen sind natürlich ebenfalls willkommen. Aber unser Geschäftsmodell ist in erster Linie auf Menschen ausgerichtet, die eine Leidenschaft für feine Uhren entwickelt haben.

Wie viele Prozent der Kundschaft werden denn lokal sein?

Das ist immer schwer zu sagen, aber in Zürich erwarten wir sicherlich um die 75 Prozent lokale Kunden. Unser Businessplan ist so angelegt, dass wir allein mit der lokalen Kundschaft auskommen müssen.


» Wenn Sie heute Komplikationen verkaufen wollen, dann müssen diese so besonders sein, dass sie das Wort Komplikation wirklich verdienen.

Wilhelm Schmid, CEO A. Lange & Söhne


Was können Sie zu Ihrem Boutiquen- oder zum Retail-Konzept sagen?

Es gibt Menschen, die uns nicht in Glashütte besuchen können, die aber ein grosses Interesse an der Marke haben. Sie wollen die Geschichte, die zu dieser Marke gehört, in unserer Boutique erleben. Deshalb haben wir darin eine Aus­stellung mit Bibliothek integriert, die unsere Markengeschichte illustriert. Sie sehen zum Beispiel 15 kleine Figurinen, welche die ersten 15 Lehrlinge repräsentieren, die Ferdinand Adolph Lange 1845 eingestellt hat. Sie erfahren ihren Namen und ihren Werdegang.

Und was unterscheidet A. Lange & Söhne von anderen Uhrenmarken im Luxussegment?

Das ist eine sehr wichtige, aber auch sehr schwierige Frage. Wenn Sie für etwas viel Geld ausgeben, dann kaufen Sie ein Produkt, das Ihrer Persönlichkeit entspricht. Wir bieten definitiv Handwerkskunst auf höchstem Niveau, und zwar egal, welche Uhr Sie von uns kaufen. Ich weiss, wie viele Uhren wir herstellen, und ich weiss, wie viele Uhrmacher wir haben. Ich weiss überdies, dass sie wirklich voll ausgelastet sind. Wenn also jemand wesentlich mehr Uhren als wir herstellt und nicht wesentlich mehr Uhrmacher hat, ist schnell klar, was das bedeutet. Ich glaube, dass hier der grosse Unterschied zu vielen anderen Marken liegt: in einer konsequenten Qualitätsstrategie im Finish und in der Dekoration. Und zwar tun wir das auch bei den einfacheren Modellen. In Bezug auf die Dekoration gibt es hier bei uns keinen Unterschied bis hin zu einer Grande Complication. Das Zweite ist, dass wir sehr deutsch sind im Sinne von Perfektion und Präzision. Alles muss bei uns einen Sinn und eine Funktion haben.

Sie wollen sagen, die benötigte Zahl von Arbeitsstunden pro Uhr ist bei Ihnen höher als bei fast allen anderen?

Ich vermute das mal, ohne dass ich da Zahlen hätte. Wir benutzen unbehandeltes Neusilber für den Grossteil unserer Werkteile, was eine grosse Herausforderung ist. Das Zifferblatt einer Uhr von uns ist relativ zurückhaltend. Aber wenn Sie die Uhr umdrehen, offenbart sich ihre Komplexität.

Was unterscheidet Sie sonst noch von Mitbewerbern?

Der Dresdner Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange legte mit der Gründung seiner Uhrmachermanufaktur 1845 den Grundstein für die sächsische Feinuhrmacherei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen enteignet, und der Name A. Lange & Söhne geriet beinahe in Vergessenheit. Direkt nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wagte Walter Lange, der Urenkel von Ferdinand Adolph Lange, zusammen mit Günter Blümlein den Neubeginn. Dieses Jahr feiern wir das 25-Jahr-Jubiläum des ersten Modells der neuen Ära mit der Lange 1. Das ist wirklich eine bemerkenswerte Geschichte für eine deutsche Marke, die 40 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang war.

Normalerweise wird eine Luxusuhr mit Made in Switzerland assoziiert. Ist das für Sie ein grosser Nachteil?

Ich glaube, dass es ein Vorteil ist. Wir sind nicht ein weiteres Angebot in einer langen Reihe von bekannten Schweizer Marken, wir stehen gerade in Deutschland relativ alleine da. Das war von Anfang an ein Vorteil, heute ist es auch ein Alleinstellungsmerkmal.

Inwiefern?

Wer sich mit Uhren auseinandersetzt, weiss, wofür wir stehen. Er findet vor allem wichtig, dass wir die Dinge bewusst so machen, wie ein Deutscher sie machen würde – und vielleicht ein Schweizer eben nicht.


» Wenn jemand wesentlich mehr Uhren als wir herstellt und nicht wesentlich mehr Uhrmacher hat, ist schnell klar, was das bedeutet.

Wilhelm Schmid, CEO A. Lange & Söhne


Was wäre denn das typisch Deutsche?

Wir bauen die Uhren zwei Mal. Wir nennen das Doppelmontage. Wir bauen zuerst das Uhrwerk zusammen, noch nicht fertig finissiert, aber komplett eingestellt. Dann durchläuft es einen kompletten Testzyklus. Wenn wir wissen, dass ein Uhrwerk 100-prozentig läuft und nichts mehr einzustellen ist, wird es wieder auseinandergenommen und gesäubert. Dann erst kommt die finale Finissierung, das Werk wird wieder zusammengebaut, eingeschalt und durchläuft noch mal denselben Testzyklus. Ich würde sagen, dass das sehr deutsch ist. Sollten Fehler auftauchen, tauchen sie bei uns auf und nicht am Handgelenk unserer Kunden.

Gibt es auch in der Uhrenarchitektur typisch deutsche Elemente?

Ja, die Dreiviertel-Platine zum Beispiel, die wir überall benutzen, wo es möglich ist. Sie war ursprünglich für Taschenuhren ent­wickelt worden, um ein Werk stabiler zu machen. Dann sind alle Uhren bei uns bis 3 Bar auf Wasserfestigkeit geprüft und hinreichend gegen Spritzwasser geschützt. Es gibt zahlreiche weitere Innovationen, die wir in den letzten Jahren vorgestellt haben. Haben Sie schon mal einen Ewigen Kalender wieder einstellen müssen? Dann wissen Sie, wie viel Finger­spitzengefühl man braucht und dass es ein recht komplexer Vorgang ist. Deshalb haben wir einen Mechanismus entwickelt, mit dem Sie mit nur einem Drücker ganz einfach alle Indikationen um einen Tag vorwärtsstellen können. Sehr deutsch ist auch unser Tourbillon, das Sie stoppen können, damit sich die Zeit präziser einstellen lässt. Das Tourbillon gibt es schon 200 Jahre. Aber auf die Idee, diese Komplikation zum Stoppen zu bringen, ist vor uns niemand gekommen.

Bei aller deutschen Identität gibt es historisch eine sehr starke Verbindung zur Schweiz. Inwiefern sind Sie auch ein bisschen schweizerisch?

Schon Markengründer Ferdinand A. Lange hatte sich in der Schweiz und in Frankreich weiterbilden lassen. Hier kam er auf die Idee, nicht nur sechs Uhren zu bauen, wie es in Glashütte üblich war, sondern eben 600 und die Arbeit so zu organisieren wie die Schweizer und die Franzosen. Als Günter Blümlein mit Walter Lange in Glashütte startete, gab es auch viel Schweizer Einfluss. Das Equipment und die Uhrmachertische, die wir seinerzeit kauften, waren sehr bewusst die gleichen wie die von IWC. Wäre etwas schiefgegangen, hätte man wenigstens das Mobiliar in der Schweiz wiederverwenden können.

Man kalkulierte das Scheitern also mit ein?

Es war ein Risiko, das wusste jeder. Es war auch bekannt, dass wir zwar extrem gute Uhrmacher hatten, aber es waren eben Uhrmacher, die auf Massenproduktion getrimmt waren. Sie mussten ausserdem lernen, mit Konstruktionsprogrammen, CAD und vielen technischen Neuerungen umzugehen, das war keine grosse Stärke in der ehemaligen DDR. Die Mitarbeiter sind damals tatsächlich mit dem Trabant nach Schaffhausen gefahren und haben ihre Aus- und Weiterbildung bei IWC bekommen.

Täuscht der Eindruck, dass der Nimbus der grossen Komplikationen ein bisschen verblasst ist? Und was heisst das für Sie?

Früher gab es vielleicht zehn Tourbillons, heute sind es über 100. Natürlich ergibt sich da ein gewisser Verschleiss. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir viele treue Sammler haben. Wir verkaufen an Leute, die wissen, wofür so ein Tourbillon ursprünglich gebraucht wurde. Sie können sich daran ergötzen, dass eine solche Komplikation aus über 80 Teilchen besteht und dabei nur 0,25 Gramm wiegt. Sie verstehen, wie schwer und diffizil es ist, es zum Stoppen und dann wieder zum Schwingen bringen zu können. Wenn Sie heute Komplikationen verkaufen wollen, dann müssen diese so besonders sein, dass sie das Wort Komplikation wirklich verdienen. Ein Ewiger Kalender muss dann um Punkt Mitternacht springen, auch wenn der Träger es eventuell nicht bewusst wahrnimmt.

Also kommt die neue Strahlkraft von der noch extremeren Präzision?

Insbesondere von den zusätzlichen Komplikationen, die wir über Jahrzehnte entwickelt haben. Ich glaube nicht, dass der Hunger nach Innovation je nachlassen wird. Der Vergleich mit einem Ferrari verdeutlicht das ganz gut. Ein Ferrari ist im Strassenverkehr nicht schneller als ein Ford Fiesta ST mit 240 PS für vielleicht 35’000 Euro. Und trotzdem kaufen Menschen einen Ferrari.

Sie sind der Ferrari der Uhrenwelt?

Nein, aber wir versuchen, mit einer neuen Perspektive an die Dinge heranzugehen. Wir sind gerne bereit, die Extra-Meile zu gehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wie gesagt, der exakt um Mitternacht springende Ewige Kalender. Ist das relevant? Für 99,9 Prozent der Weltbevölkerung sicher nicht. Aber es gibt diese 0,1 Prozent, die genau deshalb viel Geld für eine Uhr ausgeben und nicht ein Viertel davon für eine Uhr, die zwar ähnlich ist, aber eben nur ähnlich. Und die Stunden braucht, um das Datum umzuschalten.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der Branche in Ihrem Preissegment mit Uhren von 15’000 bis zwei Millionen Franken?

Ich glaube, dass wir als Industrie eine Riesenaufgabe haben. Und zwar geht es darum, die neuen Generationen von dem zu begeistern, was wir machen. Wenn wir das als Industrie schaffen, sehe ich eine goldene Zukunft.

Und was unternehmen Sie diesbezüglich?

Um unser Tun verständlich und damit auch relevant zu machen, müssen wir definitiv Wege finden, mit einer Generation zu kommunizieren, die anders sozialisiert wurde als wir. Wer heute glaubt, er komme an der digitalen Welt vorbei, wird scheitern.

Mit ein paar schnellen Instagram-Bildern aber ebenso.

Videoclips oder Instastories sind heute oft nur noch wenige Sekunden lang. In ein paar Sekunden kann ich tatsächlich nicht richtig viel erklären. Aber ich kann erste Zeichen setzen, Fischer würden das Anfüttern nennen. Man gibt ein paar Informationsbrocken, die hoffentlich so interessant sind, dass man bereit ist, tiefer zu gehen.

Erinnern Sie sich an Ihre allererste Uhr?

Na, klar. Meine allererste Uhr, die Marke habe ich vergessen, erhielt ich 1968 zur Kommunion. Ich habe sie morgens von meinem Paten­onkel Heinz aus Limburg bekommen und stolz in der Kirche getragen. Am Nachmittag haben wir Fussball gespielt, und am Abend ging die Uhr nicht mehr. Sie hat den Tag nicht überlebt.

Und die erste wichtige Uhr?

Die erste wichtige Uhr, die Marke verrate ich nicht, habe ich mit 17 Jahren gekauft, zeitgleich mit meinem MG. Vor 24 Jahren ist sie leider gestohlen worden. Ich bewahre Box, Papiere und Rechnung trotzdem auf – ich hoffe immer noch, dass sie einmal wieder zurückkommt. |


 
 

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