NOMOS | MADE IN GERMANY

Ganz in der Bauhaus-Tradition:
Die schlichten Klassiker aus Glashütte


Es hört sich wie ein Märchen an: 30 Jahre nach dem Mauerfall ist die erst 1990 gegründete Marke aus dem Erzgebirge die Nummer 1, wenn es um die Zahl der gebauten Uhren geht. Die Modelle sind schlicht, vergleichsweise preisgünstig – und sie verfügen über eigene Werke mit eigenem Assortiment. 


Pierre-André Schmitt

Nein, den ostentativen Luxus mag man nicht bei der Uhrenmarke Nomos im sächsischen Glashütte, knalligen Worten geht man aus dem Weg, schreienden Materialschlachten mit blitzenden Edelsteinen erst recht. «Wir stehen für schlichte Eleganz, die sich nicht hervortut», sagt etwa Nomos-Gestalter Thomas Höhnel, «wir machen demokratischen Luxus», meint Chief Brand Manager Judith Borowski, und fast gleich formuliert es CEO Uwe Ahrendt, der die Marke im Segment des «preiswerten Luxus» verortet. Konkret: Eine Nomos gibt es für 1100 bis 5000 Euro, und dafür kriegt man nicht nur eine Uhr mit unverkennbarem Design, sondern auch eine Uhr mit Manufakturwerk und eigenem Assortiment. Preislich zieht da keine Schweizer Marke mit.

Ahrendt ist mit andern Führungskräften der Branche kaum zu vergleichen. Leger in schwarzes Tuch gekleidet, sitzt der CEO in der Kantine der sogenannten Chronometrie auf einer Glashütter Anhöhe vor seinem Espresso und skizziert die Philosophie der unabhängigen Unternehmung. «Wir machen immer das Gleiche in immer besserer Qualität», sagt der gebürtige Glashütter. Dann lächelt er, macht eine kleine Pause und ergänzt: «Ein bisschen wie Rolex.»


» Wir machen demokratischen Luxus.
Judith Borowski, Chief Brand Manager


Das «immer Gleiche» fällt zunehmend auf. Ahrendt ist eben aus Genf zurückgekehrt, aus der «Höhle des Löwen», wie er sagt, wo die deutsche Marke erstmals eine Uhr für den renommierten Grand Prix d’Horlogerie einreichte – und prompt den ersten Preis in der Kategorie «Challenge» nach Hause tragen konnte. Prämiert wurde die Tangente Update mit dem Manufakturwerk DUW 6101 und speziellem Datum, auf das wir noch zurückkommen werden. 

Als deutsche Manufaktur diesen Preis zu gewinnen, sei eine grosse Auszeichnung, freut sich Ahrendt: «In knapp dreissig Jahren seit dem ­Mauerfall hat sich in Glashütte, in unserem ‹Vallée de Joux en miniature›, einiges getan. Dass dies auch in Genf gesehen wird, macht mich stolz.»

Zwei Stöcke über der Kantine, in welcher der CEO eben seinen Kaffee trinkt, arbeitet der Uhrmacher und Ingenieur Theodor Prenzel, der federführend an der Technik des Werks und am Datum gearbeitet hat. Dass Nomos das Chronometrie-Gebäude besitzt, hat mehr als nur symbolischen Charakter: Hier wurden einst präzise Marine-Chronometer gefertigt – natürlich vor dem Bau der Berliner Mauer. Wie stark Nomos mit der lokalen Geschichte verwurzelt ist, zeigt sich gerade am Immobilienbesitz der Marke: Der Hauptsitz mit der Logistik befindet sich im ehemaligen Bahnhof, neuerdings hat man auch die leerstehende katholische Kirche kaufen können. «Wir werden dafür sicher eine gute Verwendung finden», sagt CEO Uwe Ahrendt.

Keiner baut mehr Uhren

Von seinem verglasten Büro im ehemaligen Bahnhof aus sieht er übrigens direkt auf manchen Konkurrenten: zu A. Lange & Söhne etwa, die zur Richemont-Gruppe gehört, zu Union Glashütte im Besitz der Swatch Group oder zu Moritz Grossmann, ebenfalls von Schweizer Geld gespeist. A. Lange & Söhne ist umsatzmässig zwar die Nummer 1 der Glashütter Marken, in Bezug auf die Stückzahlen schlägt Nomos aber alle neun anderen im Ort: Nomos ist die Nummer 1 mit zwischen 50’000 und 60’000 gebauten Uhren pro Jahr, je nach Schätzung. Rund 300 Leute arbeiten heute für die Marke im Erzgebirge, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Weitere 40 Personen sind in der hauseigenen Design- und Kommunikationsabteilung Berlinerblau in Berlin-Kreuzberg beschäftigt, wo die Uhren gestaltet werden.

In Glashütte, dies nebenbei, wurde einst Silber im Tagebau abgebaut. Als das Gut langsam knapp wurde, sendete der König von Dresden seinen Hofuhrmacher in den Ort, auf dass die Bergbauleute zu Uhrmachern ausgebildet würden, was zum Startschuss für eine blühende Uhrenindustrie geriet. Nach dem Krieg wurden die Betriebe enteignet und in den Glashütter Uhrenbetrieb (GUB) eingegliedert. Aber nach dem Mauerfall ging es wieder aufwärts, der legendäre Günter Blümlein (siehe WATCH AROUND Nr. 31) liess A. Lange & Söhne wiederaufleben, der Fotograf Roland Schwertner gründete 1990 Nomos.

Dass die Sache reüssierte, hatte zuerst vorab mit Design zu tun. Die Marke reiht sich, wie Gestalter Thomas Höhnel betont, in die Tradition von Bauhaus und Deutschem Werkbund ein. «Wir schwimmen in diesem kulturellen Erbe», sagt er. Eine intellektuelle Konnotation wird gepflegt, «wir bauen die Uhr für Kunden, die lesen und schreiben können», heisst es etwa, und gerne versprüht man auch leisen Witz. Das Modell Orion Einheitsgrau zum Beispiel gab es als Sonderedition und Hommage an 30 ostdeutsche Städte – jede grau, aber jede mit einem anderen Grauton. Oder ein Sondermodell für Singapur, auf dem der örtliche Fachhandel gerne das opulente Stadtwappen gesehen hätte, bereitete dem Designteam lange Kopfzerbrechen. Bis man herausfand, dass die Stadt auch neckisch «Little Red Dot» genannt wird. Flugs nahm man das GMT-Modell «Zürich» hervor und platzierte auf dem Zifferblatt, wo normalerweise ein Häuschen-Symbol auf die Heimatzeit verweist, einen kleinen roten Punkt – fertig.

Rasch machte sich die Marke aus dem Erzgebirge aber auch unter Technikfreunden einen Namen, 2014 mit einem Paukenschlag: Neu fabrizierte man die Assortimente mit Unruh, Unruhspirale, Anker und Ankerrad selber und brach mit dem «Swing-System» stolz das Quasi-Monopol der Swatch Group. Selbst die Spirale wird nicht etwa bei Nivarox bestellt, sondern bei der Carl Haas Spiralfedernfabrik in Schram­berg im Schwarzwald, wo sie nach Nomos-Spezifikationen gefertigt wird. Nur wenige Uhrenmarken können das Assortiment, Herzstück des Werks, selber bauen.

«Für uns fühlte es sich an, als wären wir auf dem Mond gelandet», kommentiert Judith Borowski gegenüber Journalisten. Nette Begleiterscheinung: Die Fertigungstiefe stieg auf über 90 Prozent. 11,4 Millionen Euro wurden ins Swing-System investiert, die Uhrenpreise nach Einführung indes nicht angehoben. Schliesslich koste die eigene Spirale «nicht viel mehr» als bei Nivarox, sagt Uwe Ahrendt.

Mit Glashütter Genen

Nomos-Uhrwerke verfügen alle über die typischen Merkmale: Glashütter Dreiviertel-Platine, Glashütter Gesperr, besondere Zierschliffe. Bei den Golduhren gibt es eine Schwanenhalsregulierung, handgravierte Unruhkloben sowie verschraubte Goldchatons.

Zurück zum Uhrmacher und Ingenieur Theodor Prenzel in der Chronometrie auf der Glashütter Anhöhe mit Sicht auf das Städtchen. Er hat eben – nach dem Neomatik mit der Werkbezeichnung DUW 3001 – sein zweites Nomos-Kaliber konstruiert: das Neomatik Datum DUW 6101. «Wir haben uns jedes der 188 Bauteile einzeln vorgenommen», erzählt Prenzel, «denn wir wollten einen völlig neuen, komfortablen und schnell zu verstellenden Datumsmechanismus.» Realisiert wur­­de das ganze Werk auf 3,6 Millimetern Höhe, was als ausgesprochen flach bezeichnet werden darf. Herzstück der Datumsmechanik ist eine ausgeklügelte Programmscheibe, ein Dreieck mit geschwungenen Kanten auf einem drehenden Zahnrad. Die Konstruktion machte erst möglich, «ordentlich Platz zu sparen», so Prenzel.

Weil die Datumsscheibe weit aussen direkt an der Lünette liegt, ist das Datum vergleichsweise gross und gut lesbar. Und eine mechanische Sicherung garantiert, dass beim Verstellen des Datums nichts kaputtgeht – bei vielen Uhren darf bekanntlich das Datum deshalb zwischen 20 und 2 Uhr nicht verstellt werden.

Elf verschiedene Kaliber hat Nomos heute im Sortiment, zwölf Modellfamilien werden angeboten, insgesamt gibt es etwa 100 verschiedene Uhren. Renner und klare Nummer 1 ist die Tangente, mittlerweile ein Designklassiker, der 40 Prozent der Verkaufszahlen ausmacht. An zweiter Stelle kommt das Modell Metro, das als erstes mit dem Swing-System ausgestattet worden ist.

Atemberaubendes Wachstum

Noch im Januar hatte Nomos ein atemberaubendes Wachstum kommunizieren können, eine Zunahme des Umsatzes in den vergangenen vier Jahren um 65 Prozent. In der Zwischenzeit stagniert das Geschäft. Der Markt Deutschland, der 70 Prozent ausmachte, ist wohl langsam gesättigt, die Internationalisierung mit einer Offensive vor allem in den USA beginnt erst zu greifen. Neu setzt Nomos auch auf Onlinekanäle und arbeitet mit Chronext und Chrono24 als offiziellen Partnern. Die deutsche Uhren- und Juwelierskette Wempe reagierte schnell und hart und kündigte die Zusammenarbeit auf.

Nomos geht dennoch den eigenen Weg: immer das Gleiche immer besser. Modische Trends ignoriert die Marke mit gleicher Beharrlichkeit wie die katholische Kirche. Als alles auf XXL-Uhren setzte, blieb Nomos lange bei kleinen Uhren mit 35 Millimetern Durchmesser. Und ausgerechnet als der Manufaktur-Hype langsam abzuklingen begann, präsentierte die Marke ihre ersten eigenen Werke. Nur ganz behutsam wird am Design geschraubt, hier der Fuss einer Serife bei der Typografie kaum sichtbar gekürzt, dort ein Farbton leicht korrigiert. Auch die Taucheruhr der Marke, witzig «Ahoi» genannt, sieht deshalb nicht wie eine Taucheruhr aus, sondern wie eine Nomos: Es gibt keine Taucher-Drehlünette, auch wenn man mit dem Stück bis 200 Meter tauchen könnte.

Frage an Uwe Ahrendt: Wäre es nicht an der Zeit, vom Design her etwas ganz anderes zu machen? «Im Gegenteil», antwortet er, «manchmal muss man den Mut haben, nichts anderes zu machen. Sonst wird man sich untreu.» |



 

Aus Watch Around N° 34
Dezember 2018

 
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