BOLIDO | SCHELMISCHE KOMPLIKATIONEN 

» Nur wenige Manager nehmen das Design ernst


Pierre Nobs hatte die Uhr 1990 mit Ventura als Gegenstand zeitgenössischer Kreation etabliert. Drei Jahrzehnte später führte er erfolgreich seine zweite Marke Bolido ein. Er steht nun vor der grössten Herausforderung seiner Karriere: einen Käufer zu finden und sich zur Ruhe zu setzen. 

Christian Kaufmann

Eine drehbare Lünette. Darauf eine Minutenskala im Gegenuhrzeigersinn. Und ein rotes Dreieck bei null. Das ist die vielleicht einfachste Komplikation des Jahres. Will man ein weich gekochtes Ei, richtet man die Zahl 6 auf der Lünette auf den Minutenzeiger aus und legt das Ei in kochendes Wasser. Es ist perfekt, wenn der Minutenzeiger das rote Dreieck erreicht hat. 

Man musste es wagen, eine derart elementare Komplikation anzubieten. Pierre Nobs hat es getan. Genauso wie er es wagte, die kühle Nüchternheit seiner kleinen Drei-Zeiger-Allrounduhr Bolido mit der Komplexität des logarithmischen Rechenschiebers zu verbinden – so zu sehen am zweiten Modell der dritten Bolido-Kollektion, die derzeit auf den Markt kommt.

Und genau mit diesen schelmischen kleinen Komplikationen will sich der Unternehmer – mehrmals in den Ruhestand getreten, aber immer mit der Uhrmacherei verbunden geblieben – von der aktiven Bühne verabschieden, mit einer letzten Kickstarter-Operation, der dritten seit der Lancierung der Marke Bolido. Nach dieser Phase hofft der Mann, der 1990 die mythische Marke Ventura und vor drei Jahren Bolido geschaffen hat, den Stab an einen Nachfolger weiterreichen zu können. Designer Simon Husslein wird es nicht sein, seit Ende letzten Jahres ist es offiziell, der Mitbegründer von Bolido hat sich zurückgezogen. Pierre Nobs ist alleiniger Chef an Bord.

Die Marke Bolido ist also zu haben, mit allem, was dazugehört: ein archetypisches Design, mehrere erfolgreiche Kickstarter-Kampagnen, ein guter Start in Sachen Markenbekanntheit, ein bekannter Botschafter – Nobs ist bereit, den Übergang zu begleiten –, eine industrielle und logistische Partnerschaft mit einer grossen, in der Schweiz ansässigen Gruppe, eine vollautomatische Onlineverkaufsseite, ein aktives Boutiquennetz und ein vernünftig erscheinender Kaufpreis. Alea iacta est.

Die dritte Kollektion, die nun lanciert wird, wurde mit der Absicht gebaut, dem ursprünglichen Entwurf treu zu bleiben: ein rundes, durch Décolletage oder Dreherei hergestelltes Monocoquegehäuse ohne Bandanstösse – mit der von Simon Husslein gewollten Asymmetrie auf zwei Achsen, die das Stück von einer banalen Scheibe unterscheidet und ausreichend Höhe für die Platzierung der Krone bietet.

Die erste Idee war, ein Chronographenmodell hinzuzufügen. Pierre Nobs erklärt, dass an dieser Option unter anderem aus technischen Gründen nicht festgehalten wurde: «Da das Armband direkt unter dem Gehäuse befestigt ist, ist der Platz für das Uhrwerk begrenzt, und es ist eigentlich kein Standardwerk verwendbar.» Ein passendes Quarzkaliber wäre bei Ronda zwar doch noch gefunden worden, Nobs konsultierte dazu die Kickstarter-Gemeinde: «Was meint ihr?» Die negativen Antworten warfen ihn auf Feld eins zurück. «Wir mussten eine Komplikation finden, die das Modell differenziert, aber kein Chronograph ist.» 


» Das Logo auf dem Zifferblatt ist unwichtig. Es ist die Uhr an sich, die den Unterschied macht. Wie Rolex uns gelehrt hat.
– Pierre Nobs, Bolido


Die Idee einer drehbaren Lünette mit Funktion war geboren. Das Gehäuse wurde leicht vergrössert, von 43 auf 45 Millimeter – visuell erscheint die Uhr aufgrund des Gehäusewinkels allerdings kleiner. Die technische Lösung war gefunden und auch die erste Funktion. Ein Rechenschieber sollte es sein, trotz Beliebtheit der Breitling Navitimer relativ selten, aber von Pierre Nobs bereits bei Ventura eingesetzt. «Ziemlich komplex in der Anwendung», sagte sich Nobs, «das kann ich nicht vorschlagen, ich brauche eine zweite, einfachere Funktion.» Es sollte die Countdown-Uhr werden.

Pierre Nobs ist froh, seine Idee für Kollektionserweiterungen gefunden zu haben. «Sie wird», so sagt er, «Bolido ein Gesicht geben.» Denn das Logo auf dem Zifferblatt sei im Prinzip unwichtig: «Es ist die Uhr an sich, die den Unterschied macht. Wie Rolex uns gelehrt hat.»

In Gedanken ist er schon einen Schritt weiter: Warum nicht einen zertifizierten Chronometer anbieten? Seine Überlegung: Die Bescheinigung der Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres (COSC) für hohe Ganggenauigkeit könne bei Kickstarter ein gutes Verkaufsargument sein. Bei der normalen Uhrenproduktion sei die Zertifizierung recht aufwendig, aber im Kickstarter-Prozess sei sie ideal: «Nach der Kampagne hat man sechs bis acht Monate Zeit, um die Uhren zu produzieren, und die Bestellungen werden im Voraus bezahlt.» Überdies würde die COSC-Zertifizierung der Uhr noch mehr Swissness verleihen, eine willkommene Auszeichnung bei Kickstarter, dem Königreich der «Chinoiserien». Die COSC-Zertifizierung wird daher als Option mit 110 Franken Aufpreis angeboten.

Ausgangspunkt für das Bolido-Projekt waren die schärferen Swiss-Made-Bestimmungen, die am 1. Januar 2017 in Kraft traten. Pierre Nobs, der damals Firmen beriet, realisierte schnell, dass vor allem die Herstellung von Gehäusen in der Schweiz unter den neuen Richtlinien eine Herausforderung war: «Als ehemaliger Maschinenbauingenieur versuchte ich, eine Methode und ein Design zu entwickeln, die es mir ermöglichen würden, die Gehäuse zwar in der Schweiz zu realisieren, gleichzeitig aber gegenüber Asien wettbewerbsfähig zu bleiben.» Dies führte ihn zur Décolletage, einer Bearbeitung, bei der erstens die Arbeitskosten kein bestimmender Faktor sind und die man zweitens in der Schweiz nach wie vor breit praktiziert.

Nobs schritt zur Tat und tat sich mit Simon Husslein zusammen, der ehemaligen rechten Hand des Zürcher Architekten Hannes Wettstein und Designer vieler Ventura-Uhren. Man entwickelte ein Monocoquegehäuse mit einer Krone bei 12 Uhr, dem zukünftigen Wahrzeichen von Bolido. Nobs, der gar nicht beabsichtigte, eine neue Marke zu lancieren, versuchte vergeblich, die Kreation zu verkaufen: «Die meisten meiner Kontakte fanden es zu simpel, und ich merkte schnell, dass nur sehr wenige Manager bereit sind, das Design ernst zu nehmen und sich damit zu befassen.»

Beide Partner wollten nicht wirklich investieren. Die Kickstarter-Option war daher eine natürliche Wahl. In einer einzigen Nacht wurde die Schwelle zum Erfolg überschritten, und die Mittel konnten zur Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung verwendet werden. Pierre Nobs setzte dann die Bemühungen fort, indem er eine «vollautomatische» Onlineverkaufsplattform finanzierte, von der Auftragserfassung bis zur Sendungsverfolgung.

Nachtrag: Haben Sie vor dem Lesen dieses Artikels Ihr Ei ins kochende Wasser gelegt, bleiben Ihnen jetzt bei einer durchschnittlichen Lesegeschwindigkeit von 300 Wörtern pro Minute noch etwas über zweieinhalb Minuten, bevor Sie es herausnehmen und geniessen können. Nachzuprüfen mit Bolido. |


 

Aus Watch Around N° 45
Februar/März 2020

 
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