SVEND ANDERSEN | EROTIKA

Die hemmungslosen Uhren des Svend Andersen


Oft näher am Schmuddelkino als am erotischen Raffinement, mechanisch ausgeklügelt, stark gefragt, nie kopiert: Die Automaten des Meisteruhrmachers.


Christian Kaufmann

«Sehr geehrter Herr. In meiner Eigenschaft als Techniker und Historiker der Uhrmacherei habe ich auf Ihren Wunsch Ihre Kollektion von Armbanduhren mit animierten Figuren geprüft. Ausgehend von meiner fünfzigjährigen Erfahrung und meinem Wissen über etwa fünftausend Kaliber, die ein Jahrhundert der Uhrenproduktion abdecken, kann ich Folgendes bestätigen: In keiner anderen Taschenuhr mit erotischem Charakter, geschweige denn in einer bisher bekannten Armbanduhr, bin ich auf die Raffinesse der Figuren gestossen, die Ihren Kreationen entspricht. Zum heutigen Tag, wir schreiben den 7. November 1996, ist diese Art der mechanischen Animation in Bezug auf die künstlerische Qualität – vorbehältlich von Uhren, die sich möglicherweise im Entstehungsprozess befinden und später vermarktet werden könnten – das derzeit Überzeugendste. Mit besten Grüssen. Dott. Roland Carrera.»

Mehr als 23 Jahre sind seit dem Bericht des bekannten Experten der Uhrmachererotik und Autors des Buches «Les heures de l’amour» (deutsch: «Die Stunden der Liebe») verstrichen. Doch Svend Andersen, Uhrenkreateur in Genf, blieb seither erste Adresse für galante Uhrenautomaten. Schon immer war der heute 77-Jährige bekannt für seine Neigung, sich mit schier unlösbaren Herausforderungen herumzuschlagen. Eine Vorliebe, die er seit seinen ersten Werken – es waren in Cognacflaschen eingebaute Uhren – gepflegt und zu seinem Mantra gemacht hat.

Hinter seinen Entwürfen verbergen sich feinste Mechanik und technische Ausgeklügeltheit, die es wert wäre, zur eigenen Uhrmacherkomplikation ernannt zu werden, auch wenn sie nicht auf einer verfügbaren Theorie basiert und sich jedem Rationalisierungsversuch entzieht. Genau das wiederum sei vielleicht auch der Grund dafür, dass es keine zwei identischen Uhren dazu gebe, wie der Uhrmacher erklärt. Mit anderen Worten: Jede mechanische Komponente muss ihre Bewegungsfreiheit haben, da sie ihre Rolle im Spiel der auf und ab gehenden Gabeln und Hebel hat, die den Automaten beleben. 



Das Geniale bei den Automaten von Svend Andersen liegt übrigens in dessen Fähigkeit, nicht allzu präzise zu sein: «Man darf die Elemente nicht verklemmen, jedes Teil wird nach Mass justiert. Ich stelle mich manchmal als Künstler vor, es braucht ja Fantasie für solche Uhren.» Was vielleicht erkläre, wie Anderson vieldeutig ergänzt, «warum ich nie kopiert wurde».

Jedes Stück ein Unikat

Jedes Stück ist ein Unikat, das von Hand justiert und regliert wird, wie Uhren aus der Vorinformatikzeit. Ausserdem benutzt Andersen keine Computer: «Die Sache lässt sich nicht berechnen.» Keine numerische, keine binäre, keine virtuelle Modellierung. Die Botschaft kommt mittels Bleistift und Papier und vor allem aus dem engen Dialog zwischen Uhrmacher, Maler oder Grafiker und dem Kunden oder der Kundin.

Die Geschichte der erotischen Uhren begann bei Svend Andersen 1995. Ein italienischer Sammler betrat sein Atelier, legte eine Taschenuhr mit einem anzüglichen Automaten auf den Tisch und sagte auf Englisch mit starkem italienischem Akzent: «Herr Andersen, Sie sind der Uhrmacher des Unmöglichen. Sie haben es geschafft, Uhren in Flaschen zu bauen. Sie schaffen es sicher, eine erotische Animation in eine Armbanduhr zu bringen.»

Svend Andersen wandte sich umgehend an den jungen Uhrmacher, der damals seinen Alltag teilte, ein gewisser Felix Baumgartner, zukünftiger Mitbegründer der Marke Urwerk. Die erste Idee war, für die Mechanik auf ein Modul zu setzen. Aber die Option wurde schnell ausgeschlossen: «Wir wollten, dass die Animation lange dauert und auf Wunsch ausgelöst werden kann.» Vor allem wollte Svend Andersen nicht, dass die Uhr durch die beträchtliche Dicke eines Moduls, das auch die Krone versetzt hätte, völlig überproportional würde: «Ich habe immer zuerst an die Ästhetik gedacht.»

Weckerwerk als Motor

Die Lösung kam ihm eines Morgens in den Sinn: «Ich erinnerte mich, dass ich einige Jahre zuvor einen Lagerbestand an Armbanduhren mit Weckerwerk gekauft hatte.» Es waren 350 Lanco-Kaliber (siehe WATCH AROUND Nr. 26), die er Ende der 1980er Jahre gekauft hatte. Eine Besonderheit des Kalibers ist die Krone, die in beide Richtungen aufzieht, auf die eine Seite das Federhaus für die Uhr, auf die andere Seite jenes für den Wecker.

Felix Baumgartner begann, das Werk zu verändern, dem man auch Stossdämpfer hinzufügen musste, weil es aus der Incabloc-Vorzeit stammte. Vom Weckermechanismus blieb nur das Federhaus, an das ein Räderwerk mit Hemmung gekoppelt wurde, ähnlich wie bei einer Minutenrepetition mit einem «Biberschwanz»-Anker. Dieses Organ gibt das Rad auf Befehl frei, es kommt dann mit der Nocke in Berührung, die den Mann antreibt – sowie eine ganze Reihe von Gabeln, deren Bewegung von anderen Nocken und Exzentern gesteuert wird.

Svend Andersen weist darauf hin, dass es drei feste Drehpunkte gebe, um einen guten Hebel zu gewährleisten – «Uhrmacherei ist immer eine Frage der Hebel» –, aber ansonsten dominierten Empirie und Improvisation: «Es gibt keinen Plan, und wir hatten das Glück, dass die Energie des Werkes für die Automaten ausreichte.» Schon die zweiminütige Gangreserve sei ein glücklicher Zufall: «Wir haben gemessen, dass eine Person durchschnittlich 12 bis 15 Sekunden braucht, um die Animation anzuschauen. Zwei Minuten dauert es, bis die Uhr um einen Stammtisch herumgereicht wurde.»

Nachdem die mechanischen Probleme gelöst waren, brauchte es noch einen Mann in der Runde: den Maler. Ein erster Miniaturmaler fand sich in Le Locle, ein zweiter in Frankreich, der schliesslich für die Sache auserwählt wurde. Am Schluss war ein Vierer-Dialog lanciert, mit dem Kunden, dem Uhrmacher, dem Grafiker, der die Skizzen erstellt, und dem Maler, der sie umsetzt.

Der italienische Sammler brach das Eis und bestellte die ersten sechs Stück. Svend Andersen platzierte ein paar Exemplare bei einem Partner in Hongkong, 15 Stück waren es bald, und so startete die Umsetzung der Eros-Linie mit zwei Versionen, Eros XL und Eros 69. Bis heute wurden 173 Automaten gebaut, und die allgemeine Begeisterung hat bis heute nicht schlappgemacht.

Die meisten Uhren werden auf Bestellung entwickelt, die Realisierungen sind mehr oder weniger ausgeklügelt und die Muster mehr oder weniger gewagt. Die komplexesten Produktionen haben 16 bewegliche Elemente, die einfachsten etwa 10. Jeder Körper hat sein eigenes Tempo, jedes Organ erhält seine eigene Frequenz – Hüften, Arme, Kopf bis hin zum zitternden Schwanz eines kleinen Hundes mit unschuldigem Blick, der manchmal am Fuss eines Bettes geduldet wird. Der naturgetreue Charakter der Animation mag überraschen, es gehört zur Handschrift von Svend Andersen, das mechanische Dispositiv in den Hintergrund treten zu lassen, um das Ballett so organisch wie möglich wirken zu lassen.

Was die Motive betrifft, so sind Dekors und Situationen meist bestellt. Die Wünsche der Kundschaft sind manchmal explizit, und die Stücke, die der Uhrmacher fremden Augen vorzeigen darf, sind oft näher am Klamauk als lüstern, näher am Comicstrip oder gar Schmuddelkino als am erlesen erotischen Raffinement.

Feingefühl

Man täusche sich indes nicht: Die Spezialität hat eine lange Tradition, und die Kundschaft sind meist Menschen in den frühen Fünfzigern, mit Leidenschaft für Kunst und Uhrmacherei, von allen Kontinenten und aus allen Genres, auch einige Frauen platzieren Bestellungen. Die Übung sei nie trivial und die Interaktion mit den Kunden erfordere eine gewisse Intimität mit Feingefühl, sagt der Uhrmacher. «Man muss den Menschen kennen, neugierig sein und die richtigen Fragen stellen. Wir lernen viel, wenn wir diese Art von Uhren herstellen.»

Wie an dem Tag, als sich Svend Andersen an der Basler Uhrenmesse von einer Gruppe bestgelaunter Basler Polizisten umgeben sah – sichtlich angetan von seinen kleinen Uhren «mit Sauereie innedraa». |


 

Aus Watch Around N° 44
Dez.2019/Januar 2020

 
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