OSCILLON | DO IT YOURSELF VON A BIS Z

Die urige Uhr aus dem Aargau


Wie vor 100 Jahren: Lange unbemerkt von der Öffentlichkeit, bauten zwei Uhrmacher im Aargau mit uralten Maschinen eine ganz aussergewöhnliche Uhr. Einen Einblick in ihr Schaffen gibt es aktuell am Genfer Uhrensalon.


Pierre-André Schmitt

Es war eine sehr ernsthafte Frage – auch wenn sie nach der Arbeit auf dem Weg zum Bierladen aufkam: Ob sie es wohl schaffen würden, so fragten sich die beiden Uhrmacherlehrlinge Cyrano Devanthey und Dominique Buser, eine Uhr von A bis Z komplett selber zu machen? Den Begriff «komplett selber machen» legten die beiden Stifte im ersten Lehrjahr schier fundamentalistisch streng aus: Komplett selber machen hiess für sie, dass jeder Trieb, jedes Zahnrädchen, jede Schraube, kurz: jeder Bestandteil, selber produziert werden müsste. Der Einkauf bestehender Teile wäre absolut tabu.


» Unsere Uhr sollte nicht nur ticktack machen. Sie sollte qualitativ mit einer modernen Uhr absolut vergleichbar sein.
– Dominique Buser (links) und Cyrano Devanthey


Das war 1990. 27 Jahre später, im Dezember 2017, sitzen die beiden in ihrem Atelier an der Heinrich-Wehrli-Strasse im aargauischen Buchs. Auf dem Tisch liegt eine Uhr. Ihr Name: «L’instant de vérité». Ihr Preis: 160’000 Franken. Ihr besonderes Merkmal: Sie ist von A bis Z komplett selber gebaut. Die ehemaligen Lehrlinge haben ihre Frage beantwortet und mit der Nummer 1 ihrer Marke Oscillon eine Uhr gebaut, die das Prädikat «absolut aussergewöhnlich» verdient.

Dabei stand am Anfang neben der Liebe zu schönen Uhren vor allem eine Schwäche für alte mechanische Maschinen. Dutzende stehen in ihrem Aargauer Atelier, Schaublin-Drehbänke, eine Triebflügelpoliermaschine, eine Triebfräse, eine Guillochiermaschine, Perlage-Maschinen und was man sonst in der Uhrmacherei noch alles brauchen kann. Die jüngsten Apparate stammen aus den 1960ern, die ältesten sind gut und gerne 100 Jahre alt. Eine computergesteuerte CNC-Fräse hingegen gibt es nicht, zu sehr lieben Devanthey und Buser die gute, alte analoge Mechanik. 

Über 100 Jahre alt

Da steht zum Beispiel die über 100-jährige blass graugrüne Saisselin & Tripet aus Biel. Um ihre Funktion richtig zu verstehen, muss man ein klein bisschen ausholen: In der Armbanduhr gelangt in der Regel die Energie einer gespannten Feder über ein Räderwerk zum Regulier­organ, dem eigentlichen Taktgeber der Uhr. Das Räderwerk besteht aus Stahltrieben, auf denen filigrane Zahnräder aus Messing fixiert sind. Und die Verzahnung der Zahnräder und Triebe wird auf der Saisselin & Tripet aus­ U(hr)-

grossvaters Zeiten gemacht. Die Einstellung des Industrie-Dinosauriers erheischt viel Fachwissen und Erfahrung. Doch wenn man damit umgehen könne, so versichern die beiden Uhrmacher, «entstehen Zahnprofile, die denen aus modernster Produktion ebenbürtig sind». 

Das, nebenbei, war auch ein Ziel der beiden Uhrmacher. Ihre selbst gebaute Uhr sollte einer Volumenuhr der Industrie punkto Ganggenauigkeit in keiner Weise nachhinken. «Unsere Uhr sollte nicht nur ticktack machen», sagt Dominique Buser, «sie sollte qualitativ mit einer modernen Serienuhr absolut vergleichbar sein.»

Was Cyrano Devanthey und Dominique Buser nicht wussten: Staruhrmacher Philippe Dufour sowie Stephen Forsey und Robert Greubel von der Luxusmarke Greubel Forsey hatten vor wenigen Jahren ein ziemliches ähnliches Projekt aufgegleist: «Naissance d’une Montre», hiess es, Geburt einer Uhr. Der französische Uhrmacher Michel Boulanger war im Rahmen dieses Projektes eingeladen worden, eine Uhr auf althergebrachte Art zu bauen. Am letzten Genfer Uhren­salon SIHH wurde das Ergebnis präsentiert und gebührend gefeiert. 

Das Projekt ist in der Time Æon Fundation aufgegangen, und die Verantwortlichen sind natürlich auch auf die beiden Uhrmacher im Aargau aufmerksam geworden: Cyrano Devanthey und Dominique Buser bauen jetzt ihre Uhr Nummer 2 im Rahmen der Stiftung. Am diesjährigen Genfer Uhrensalon wird man einen Einblick in ihr Schaffen erhalten.

Die erste Uhr, «L’instant de vérité», schöpft, was ihre Herstellungsart anbelangt, zwar voll aus der Vergangenheit. Dennoch ist sie technisch sehr innovativ. Für die Aufzugsfeder etwa griffen die zwei Uhrmacher auf das Prinzip der Rollfeder – englisch: Tensator – zurück. Eine grosse Rollfeder ist heute oft in Staubsaugern eingebaut, um das Stromkabel wieder einzuziehen. Die adaptierte Technik im Detail zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, immerhin aber sei erwähnt, dass die Feder einen grossen Vorteil hat: Sie gibt, vergleichbar mit einer Kette-Schnecke-Konstruktion, eine konstante Kraft ab, was der Präzision höchst dienlich ist. 

Dominique Buser und Cyrano Deventhey, die normalerweise Uhren für die Avantgarde-Marke Urwerk zusammenbauen, mussten oft monatelang pröbeln, Rückschläge verdauen, neue ­Ideen­ entwickeln und Knacknüsse lösen. Die üblichen Formeln, um die exakte Wirkung einer Rollfeder zu berechnen, funktionierten zum Beispiel im Miniatur-Massstab für eine Uhr nicht. Und mitunter wussten die beiden Männer auch gar nicht, wie man ein bestimmtes Stück auf einer Maschine fertigen kann. «Manchmal half es, die Maschine ganz genau zu studieren», erzählt Devanthey. Und manchmal brachte eine Bedienungsanleitung vom Flohmarkt die Lösung.

Ein Moment der Wahrheit

Am Schluss war es vollbracht, und die Uhr war fertig. Ihr Name, «L’instant de vérité» (der Moment der Wahrheit), ist natürlich mit Bedacht gewählt worde: «Mit dem ersten Aufziehen der Uhr endet, was mit dem Fräsen der Räder und Triebe begann», notierten die beiden Uhrmacher: «Die Unruh vollführt die erste Schwingung, und die Zeiger beginnen ihre Kreise zu ziehen.» 

Das sei, so fanden die Schöpfer der Preziose philosophisch, als wollte ihnen ihre Uhr «all die investierte Zeit zurückgeben – ein Moment der Wahrheit, auf den wir hingearbeitet haben». |


 

Aus Watch Around N° 24
Januar 2018

 
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INHALTSVERZEICHNIS:
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