CODE41 | TRENDS

Die Provokation des «Swiss made worldwide»


Das Lausanner Start-up-Unternehmen gilt als Agent Provocateur. Und als Star des Crowdfundings. Dabei ist die Marke nur auf der Suche nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Christian Kaufmann

Claudio D’Amore und das gesamte Team der Marke Code41 mit Sitz in Lausanne haben mit ihrer neusten Kreation gerade einen entscheidenden Meilenstein geschafft: Das Modell X41 war ein Test, der Versuch nämlich, mit einer Uhr zum Preis von etwas über 4000 Franken (künftig 5500 Franken) via Kickstarter auch in die gehobene Klasse einzudringen. Dabei baute man auf ein Werk, das vom Hersteller Timeless im jurassischen Courfaivre entwickelt worden war, einen Automaten mit peripherer Schwungmasse, Grossdatum und offener Architektur. Es war ein grosser Sprung für die junge Marke, deren Kernkompetenz bisher bei Drei-Zeiger-Produkten unter 1000 Franken lag.

Als Claudio D’Amore, Designer und Unternehmer, im vergangenen März die Operation X41 startete, setzte er vor allem auf seine Fähigkeit, Tabus zu brechen und herkömmliche Codes hinter sich zu lassen. D’Amore würde es allerdings kaum so formulieren. Er sieht sich als Uhrmacher, der feine Uhren bauen will, traditionell, mechanisch, hochwertig – vor allem aber mit einem zeitgenössischen Design, das er beitragen wolle.

Mit Erfolg: In einem einzigen Kampagnen-Monat kamen für die X41 fast 750 Bestellungen zusammen, was einem Gesamtbetrag von über drei Millionen Franken entspricht.

Im traditionellen Serail der Uhrmacherei hat Code41 dennoch einen eher schlechten Ruf. Claudio D’Amore hat die umstrittene Reputation des Provokateurs, des Anarchisten gar, der aus Eigennutz eine Bombe am Sockel des Swiss-made-Monumentes platziert hat, um für sich einen werbewirksamen Marketingcoup detonieren zu lassen. 

Zifferblätter aus China

Er selber sieht es so: Gewiss habe er seine Marke auf provokative Weise lanciert, die Botschaft aber basiere vollumfänglich auf Tatsachen. Mehr noch: Sie enthalte im Kern eine ethische Haltung, jene der Transparenz. Seine Uhren verfügen über Gehäuse, Zifferblätter und Zeiger aus China, Werke aus Japan oder der Schweiz, und man stehe dazu. Was auch immer verwendet werde, am Ende des Tages sei es stets nur eine Antwort auf die Frage nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. «Müssen Sie wirklich Uhren in der Schweiz zusammenbauen und das Swiss-made-Label anpreisen?», fragt er rhetorisch. «Qualität ist nicht an ein Land gebunden. Unser Ziel ist es schlicht, mit den richtigen Lieferanten für das richtige Produkt zusammenzuarbeiten.»

Stellt sich die Frage, was von Code41 übrigbleiben würde, wenn alle genauso handeln würden. Es bliebe sicherlich das Uhrendesign, denn hier werden Uhren in einer möglichst reinen uhrmacherischen Vision gezeichnet. Das ist auch der Ausgangspunkt des Unternehmens und zweifellos das Erste, was Kunden wahrnehmen. 

Trotzdem: Die Frage nach der Herkunft bleibt bestehen. Der Name selbst, Code41, ist der internationalen Schweizer Telefonvorwahl entlehnt. Die Marke hat ihren Sitz in der Schweiz, Claudio D’Amore studierte Design in Lausanne in der Schweiz und begann seine Karriere als Designer von Uhren für Marken mit Sitz in der Schweiz. 

Mit anderen Worten, ganz ohne Bedeutung kann das Swiss Made nicht sein. D’Amore bestreitet das nicht: «Die Schweizer sind Generalunternehmer, die es verstehen, Stakeholder zu orchestrieren, um Mehrwert zu schaffen.» Es sei indes nicht das Wo, das am Ende zähle, sondern das Wie. «Beim Wo ist es eine Frage des Pflichtenheftes. In China arbeiten einige Lieferanten seit mehr als 50 Jahren für die Schweiz und verwenden die gleichen Bergeon-Schraubenzieher wie im Jura.»

Es gibt ein ganzes Netzwerk von Akteuren, auf das Code41 aufbaut, dazu gehören Unternehmen in der Schweiz und Subunternehmer in China. «Es ist eine sehr gut eingespielte Praxis.» Nur bleibe das Risiko, von einem Lieferanten abgelehnt zu werden, dessen Auftragsbuch bereits voll oder dessen Mindestbestellmenge für Code41 nicht stemmbar ist. Claudio D’Amore agiert deshalb nicht direkt, sondern über Schweizer Generalunternehmer, was in Anbetracht seines Volumens gar nicht anders geht: Sein Bestseller, das Standardmodell Anomaly, steht für 10’000 Stück pro Jahr – Peanuts für einen chinesischen Zulieferer. Erschwerend kommt hinzu, dass für jedes Projekt die Spezifikationen ändern, jede Komponente braucht den dafür am besten geeigneten Produzenten. Das Werk für das Modell X41 zum Beispiel ist schweizerisch, da das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für diese Art von Kaliber hierzulande zu finden sei.

Zudem, so D’Amore, komme der durch Code41 geschaffene Mehrwert dem Land zugute: «Wir beschäftigen 10 Mitarbeiter und engagieren weitere, wir müssten 20 sein, um das zu tun, was wir tun wollen.» Hätte die Marke reine Swiss-made-Uhren hergestellt, hätte man hingegen keine einzige Uhr verkauft. Und mithin keine Arbeitsplätze geschaffen.

Code41 ist auch ein Lehrbeispiel für den Umgang mit neuen Medien. Die erste Operation wurde im Dezember 2016 auf Kickstarter lanciert: erfolgreicher Start, 1000 verkaufte Uhren, 543’150 Franken Einnahmen. Dann kam die schwierige Frage, wie man weiterhin Uhren verkaufen und wachsen könne. Die Antwort: «Wir haben die Community wachsen lassen.» Und es funktionierte. Nicht zuletzt dank Transparenz und Kommunikation über die sogenannte neue Schweizer Ethik überschritten die Bestellungen bald die Schwelle von 500 bis 700 Stück pro Monat.

Überwiegend französisch

Nach 15 Monaten hatte die Community 200’000 Mitglieder erreicht, von denen gut zehn Prozent als «sehr aktiv» eingestuft werden. Eine überwiegend französischsprachige Gemeinschaft – die Kommunikation wurde hauptsächlich auf Französisch geführt –, sehr europäisch und sehr schweizerisch. Diese Kundenbasis sei absolut zentral für das Geschäftsmodell, da die gesamte Dynamik auf dem regelmässigen Start von Projekten basiert, idealerweise im Rhythmus von einem Projekt pro Jahr. Die Community ist nicht nur ein Relais für Verkäufe, sondern auch eine Möglichkeit, das Risiko durch In-vivo-Marktforschung zu minimieren.

Das nächste Projekt zum Beispiel wurde aus der Gemeinschaft geboren: eine Uhr für Frauen. Die wichtigsten Optionen sind im Moment in Abklärung, Quarz oder Mechanik, neues Design oder Anpassung des Modells Anomaly etc.

Das alles mag erfreulich erfolgreich erscheinen, in Wirklichkeit sei die Anspannung dauerhaft. Claudio D’Amore weiss genau, dass es keinen Raum für Misserfolge gibt: Jedes Projekt muss das nächste finanzieren. Seit 2016 funktioniert das einwandfrei, mit der Nebenwirkung, dass aus jedem Projekt ein umfangreicherer Katalog entsteht, was sich langsam zur Geschäftsbasis entwickelt.

So baut die Marke stetig ihr Image auf, mit einer beachtlichen Ausstrahlung, auch wenn es noch viel zu tun gebe. Wie zum Beweis sieht sich die kleine Code41, seit Audemars Piguet Anfang Jahr ihre neue Linie Code 11.59 lanciert hat, plötzlich als Nachahmer beschimpft. Mit anderen Worten: Es bleibt spannend. |


 

Aus Watch Around N° 38
Mai/Juni 2019

 
GZ38.jpg

INHALTSVERZEICHNIS:
Made in Switzerland | Georges Kern, Breitling | Gaël Petermann und Florian Bédat | Interview Frédéric Grangié, Chanel | Marion Müller | Code41 | Les Ambassadeurs u. WatchBox | Daniel Hug | Chronopassion | Patek Philippe | Zeigerstellung | François-Paul Journe | Die Zeitgleichung | Artya | Marc Jenni, Nobletime | Japans Lieblingsuhren