MAURICE DE MAURIAC | MADE IN ZÜRICH

Von Knorrli zu Maurice de Mauriac


Quirlig, unkonventionell und cool: Wie Daniel Dreifuss die Zürcher Uhrenmarke Maurice de Mauriac etabliert hat. Und daneben auch noch zum «King of Straps» wurde.

Pierre-André Schmitt

Jeder andere hätte eine Entschuldigung gemurmelt und den Telefonhörer aufgehängt. Nicht so Daniel Dreifuss. Was als falsch verbundener Anruf begonnen hatte, machte er zum erfolgreichen Geschäft: Mehrere Millionen Franken Umsatz brachte es dem Gründer der Zürcher Uhrenmarke Maurice de Mauriac ein.

Wir kommen darauf zurück. Zunächst aber dies: Daniel Dreifuss, Jahrgang 1960, ist kein Uhrenmacher wie alle anderen, er ist der vielleicht unkonventionellste Geschäftsmann der Branche. Sein Laden an der Zürcher Tödistrasse im Enge-Quartier ist einer der coolsten in der Stadt, vollgestopft mit allerlei Trouvaillen: hier ein Vintage-Töffhelm, dort ein Formel-1-Reifen, bibliophile Bücher, Matchbox-Spielzeugautos, eine 300er-Honda aus den Sechzigern, alte Fotos und eine nie ruhende Kaffeemaschine für Besucher. Kein Wunder, haben Kunden den Laden auf TripAdvisor zum Nummer-eins-Geschäft der Zwinglistadt erkoren.

Daniel Dreifuss. Am Anfang war er Banker, arbeitete für Drexel Burnham Lambert in Zürich und New York, bis die Bank fallierte, nachdem sie von der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC ins Visier genommen worden war. Dreifuss stand vor dem Nichts. Beziehungsweise vor einem grossen Fragezeichen: Bleibe ich fürderhin im Banking-Geschäft?

Es wurde statt Banking die Uhrenbranche. Zunächst aus Zufall. Ein israelischer Geschäftsmann bot Dreifuss die Vertretung für sogenannte Wasseruhren an. Das waren Quarzuhren mit Digitalanzeige, die nicht mit Batterien liefen, sondern mit zwei Tropfen Wasser zum Funktionieren gebracht werden mussten. Die Sache war 1977 in El Paso entwickelt worden, für Daniel Dreifuss war es 1987 der Einstieg in eine neue Berufswelt.

Knorrli, Meister Proper, ABB

Natürlich blieb es nicht dabei. Der quirlige Dreifuss suchte neue Geschäftsfelder und kam bald auf Private Label, auch White Label genannt. Oder ganz einfach: auf Werbeuhren.

Mai 2018. Dreifuss ist aufgesprungen, hat eine grosse Schachtel geholt und wirft eine Uhr nach der anderen auf den langen Tisch seines Geschäftes an der Tödistrasse 48. Werbeuhren aus den späten 1980er Jahren sind es, ein heiteres Panoptikum des Markendesigns aus jener Zeit, Uhren allesamt, die er im Auftrag gefertigt hat: eine Knorrli-Uhr, eine Uhr für die französischen Staatsbahnen SNCF, eine Schweizer Postauto-Uhr, eine lila Milka-Uhr, eine ABB-, eine Meister-Proper-, eine Manpower-Uhr. «Ich habe alles gemacht», sagt Dreifuss. 100’000 Uhren im Jahr waren es, rund 2,7 Millionen Franken Umsatz.

Angefangen hatte das Geschäft mit einer Bestellung des Zürcher Gastrokönigs Rudi Bindella für dessen Contrapunto-Restaurant: 1000 Uhren mussten her. Auch für den rotzfrechen Zeichner Tomi Ungerer gab es eine Uhr, für die Post, für Fussballclubs, für Champagnermarken, für alles eben.

An zwei Prinzipien hielt sich der Jungunternehmer eisern: Erstens waren alle seine Uhren Swiss made, eine Fabrik in Biasca baute sie. Zweitens setzte er auf ein modulares Konzept. Zuerst wurde das Zifferblatt entwickelt, davon ausgehend eine ganze Kollektion, oft auch mit einer kleinen Tischuhr.

Es war ein hektisches Geschäft. In der Regel wurden 10’000 Uhren für 250’000 Franken bestellt, lieferbar auf einen bestimmten Termin. Wurde der nicht eingehalten, verfielen Auftrag und Honorar. ­«Learning by doing» war das Motto – bezeichnend dafür, wie Daniel Dreifuss funktionierte und nach wie vor funktioniert, ist vorab die erwähnte Geschichte mit dem falsch verbundenen Telefonanruf.

1999 kam der Paradigmenwechsel

Damals, Ende der 1980er Jahre, gab der Ex-Banker nebenbei an der Börse Wirtschaftskurse über Optionen. Als er für 15 Studenten und sich telefonisch einen Tisch fürs Mittagessen reservieren wollte, hatte er irrtümlicherweise plötzlich eine Papierfabrik am Draht. «Haben Sie eine Werbeabteilung?», fragte er schlagfertig, wurde akkurat weiterverbunden und umgehend auf den nächsten Tag hinbeordert. Die Fabrik wurde ein guter Kunde.

Lerne: Ein Daniel Dreifuss lässt keine Gelegenheit vorbeiziehen. Und hat überdies ein feines Gespür für Trends. 1999 kam deshalb der Paradigmenwechsel: «Wir machen ab sofort nur noch mechanische Uhren», entschied der Zürcher Uhrenmann.

Es war ein pragmatischer Entscheid: Die Konkurrenz sei in dem Bereich etwas weniger hart, befand Dreifuss. Ungeeignet für eine eigene Uhrenmarke hingegen fand er seinen Namen. Zu jüdisch, urteilte er. Überdies gab es damals auch noch eine gleichnamige Bundesrätin, was nicht ideal gewesen sei. Also suchte er einen neuen Namen.

Den entdeckte tout Zürich schnell auf Kärtchen, die unter dem Scheibenwischer ihrer Autos klemmten. Und auf allerlei Plakaten, die wild überall in der Stadt aufgehängt worden waren: Maurice de Mauriac, hiess er. Das Guerilla-Marketing brachte eine saftige Busse ein, sie ist indes typisch für Dreifuss. Noch heute stellt er zu Werbezwecken da und dort grosse Uhren mit seinem Schriftzug hin. Und virtuos spielt er die ganze Klaviatur der sozialen Medien. Hier und auch sonst hat er familiären Rückenwind: Die Söhne Leo (22) und Massimo (25) helfen tatkräftig mit.

Auf Maurice de Mauriac kam Dreifuss über den von ihm hoch geschätzten Philosophen und Humanisten Michel de Montaigne – kurz MdM, der übrigens eine jüdische Mutter hatte. In Tunesien werden jüdische Buben oft Maurice genannt, der Rest ergab sich sozusagen von selbst.

Maurice de Mauriac also. Zuerst wurden die Uhren unter anderem an Tankstellenläden verkauft: «Stop & Shop». Rasch setzte die Marke auf klares, reduziertes Design, verbaute in der Regel das unverwüstliche Valjoux 7750 und präsentierte Uhren, die oft aus der Fliegerei oder vom Rennsport inspiriert sind. Aber auch puristisch gestaltete Drei-Zeiger-Uhren sind im Angebot. Nie versagt das feine Sensorium für Angesagtes: Daniel Dreifuss setzte deshalb auch früh auf Bronze-Gehäuse. 

Durchbruch

2014 kam ein Durchbruch mit der von Industriedesigner Fabian Schwaerzler gezeichneten L-Serie. Die L1 in Stahl etwa ist pure Reduktion auf das Wesentliche: weisse Stunden-Indexe auf schwarzem Grund, feine Minuterie-Striche, drei weisse Zieger – fertig. Maurice de Mauriac hat endgültig eine Identität. 

Doch Daniel Dreifuss macht nicht Pause. «Ich bin zufrieden mit dem Geschäft», sagt er, «aber richtig happy bin ich noch nicht.» Der Mann, der heute etwa täglich eine Uhr verkauft, sieht das Potenzial beim dreifachen Absatz. Und seit einigen Jahren hat er sich ein zweites Standbein zugelegt: Dreifuss ist der «King of Straps».

Noch bevor Marken wie Daniel Wellington und andere die textilen Nato-Bänder salonfähig machten, hatte Dreifuss den Trend bereits gewittert. Bei ihm gibt es die Bändeli in allen Variationen: weisse GT-Streifen auf schwarzem Grund, Gulf-Muster, Züri-Farben, Trikolore, bordeaux, lila etc. – an der Tödistrasse findet man das Accessoire kistenweise. Auch Leder ist im Programm, Cordovan aus fein gegerbter Pferdehaut zum Beispiel. 

Hin und wieder gibt es im Geschäft übrigens auch Uhrmacherkurse. Ein Unitas-Werk wird unter kundiger Führung auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Wer interessiert ist, kann sich telefonisch melden. Und wer Daniel Dreifuss ein bisschen kennt, hat eines gelernt: Sollte versehentlich jemand anderes das Telefon abnehmen, kann das durchaus eine Chance sein. |


 

Aus Watch Around N° 29
Juni 2018

 
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