Beat Haldimann
«Ich versuche die Zeit so auszudrücken, wie sie ist.
Ich versuche nicht, sie zu messen»

Aus Watch Around N°36, März 2019
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Beat Haldimann. Beat Haldimann. Ein Riese im Dienste des Winzigen. Ein Perfektionist. Und ein Philosoph. Wir haben ihn besucht.


Stéphane Gachet

Alles hat seinen besonderen Sinn hier. Alles hat seinen Platz. Und die einzige Regel, die Beat Haldimann sich ein für alle Mal vorgegeben hat, ist es, seinem eigenen Weg zu folgen – und nur seinem eigenen.

Haldimann ist ein Riese im Dienste des Winzigen. Er übt seinen Beruf als Entdecker aus, immer auf der Suche nach dem Ausreizen einer neuen Grenze. An einer Art Grenze lebt er auch, allein, wie ein Leuchtturmwärter am Thunersee. Sein Haus, in dem er wohnt, arbeitet und seine Kunden empfängt, ist wie eine Insel, die nur durch einen schmalen Steg mit dem Rest der Uhrenindustrie verbunden ist. Er hatte zwar eine Zeit lang daran gedacht, sich in Genf niederzulassen. Aber da machten, so fand er, die anderen Uhrmacher zu viel Lärm. 

Er müsste ein Star sein, dieser Beat Haldimann. Und man müsste auf ihn hören wie auf einen Mentor, einen Guru gar. Denn er verkörpert mit einer fast verstörenden Natürlichkeit alle Werte der traditionellen Uhrmacherkunst. Doch im Grunde genommen ist es recht ruhig um ihn.

Schweizerkreuz

Haldimann baut seine eigenen Uhren. Er stellt alles selber her, alle Komponenten, Uhrwerk, Gehäuse, Habillage, Zeiger, Zifferblatt, alles. Bis auf wenige Spezialitäten wie Spirale, Rubine, Saphirglas. Auch die Stosssicherung trägt seine Handschrift: ein Stift in Form eines Schweizerkreuzes. Seine Werkstatt, in den ersten Stockwerken seines Hauses gelegen, ist wie seine Uhren: ruhig, sauber, durchdacht.

Als Erstes fällt dem Besucher eine kleine römische Waage auf. Wer weiss schon, wie schwer eine Briefmarke wiegt? Fest steht: Es braucht nur drei Briefmarken, um den Käfig eines Haldimann-Tourbillons mit 24 Komponenten aufzuwiegen. 

Irgendwo zwischen zwei Türen steht auch eine alte Stempeluhr. Beat Haldimann erhielt sie als Geschenk. Und da alles eine Bedeutung haben muss – «wir sind kein Museum» –, baute er sie um zu einer Pausenglocke, einer Sonnerie. Sie lädt die fünf bis zehn Mitarbeiter ein, die Pausen einzuhalten – zum Znüni und zum Zvieri.

Am Ende des Korridors befindet sich ein Schlüsselstück: ein Schubladenschrank, der die Ersatzteile für alle Haldimann-Taschenuhren enthält. Sie wurden von seinen Vorfahren gefertigt, und der Name Haldimann ist auf ihnen eingraviert. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Familie nämlich mit der Uhrmacherei verbunden – nur Beat Haldimanns Vater und Grossvater scherten aus und gingen andere Wege. Doch der Urenkel hat die Fackel wieder übernommen. Er repariert alle ihm zugesandten Haldimann-«Zwiebeln»; geduldig hat er die notwendigen Teile auf der ganzen Welt aufgestöbert.

Im Keller befindet sich die mechanische Werkstatt. Hier fertigen Haldimann und seine Uhrmacher ihre Werkzeuge. Man taucht wie in eine vergessene Welt ein, in das goldene Zeitalter der analogen Mikrotechnik: Schäublin-Drehbank, Aciera, Fehlmann etc. Hier riecht alles nach analoger Mechanik, als wäre die Zeit in der vordigitalen Ära stehen geblieben. Denn hier wird Stück für Stück in Handarbeit hergestellt. Und auch hier gibt es keinen Platz für Staub, keine Maschine ist ein Museumsstück, sie werden alle für die Herstellung der Uhren benötigt.

Das Haus ist eine Art Bienenstock, ein emsiger kleiner Mikrokosmos. Und darin entstehen Uhren mit so feinen Werken, als würden sie von Insekten dekoriert. Mit einer klaren Devise: «Gehe an die Grenzen dessen, was die Hand des Menschen tun kann.» Wobei Haldimann kein Ayatollah ist, perfektes Finish ist für ihn nicht Selbstzweck, eher ein Fingerzeig dafür, dass nichts lieblos maschinell gefertigt wird.

Haldimann sucht auch nicht verbissen nach technologischer Neuerung: «Wir müssen perfekte Uhren bauen, wir suchen nicht die Innovation.» Dabei war die Innovation sein erstes Metier: «Ich arbeitete in der Forschung und Entwicklung für ein grosses Unternehmen. Ich habe sehr wohl Entdeckungen gemacht.»

Seine Uhren zeugen davon, alle Details stehen für ernsthafte Sorgfalt, für das Bestreben, alles in Frage zu stellen. Und erst dann zur Realisierung zu schreiten, wenn die Gewissheit besteht, gängige Theorie und übliche Praxis überwunden zu haben. Genährt vom unbändigen Wunsch, die Mechanik an ihre Grenze zu treiben. 

Wie bei seinem fliegenden Tourbillon (H1 Flying Central), das aussieht, als schwebte ein filigraner Kolibri über dem Zifferblatt. Oder sein fliegendes Doppelresonanz-Tourbillon (H2 Flying Resonance), das an zwei schwingende Herzen siamesischer Zwillings-Schmetterlinge denken lässt, im Gleichtakt auf einem mikroskopisch kleinen Strahl.

Zur Ordnung gerufen

Abgesehen von der öffentlichen Anerkennung in Form des Gaïa-Preises 2009, sind die einzigen Zeugen seiner Virtuosität seine Kunden, nicht zahlreicher als die Finger einiger Hände. Es ist ein bisschen ihre Schuld, dass man so wenig von Beat Haldimann sieht oder hört: Bei ihm gibt es keine Lagerbestände, und die Wartezeit für eine Uhr kann gut und gerne drei Jahre betragen. Der Uhrmacher war eine Zeit lang versucht, ein Instagram-Konto zu unterhalten, aber seine Sammler riefen ihn zur Ordnung. Sie sähen ihn lieber an der Werkbank sitzen als am Wi-Fi hängen, liessen sie ihn wissen.

Das Wichtigste sei, dass seine ganze Welt in Harmonie schwinge. Es ist mithin kein Zufall, dass der Uhrmacher so hart an der Frage der Resonanz gearbeitet hat. Es ging ihm nicht um Reputation als technischer Könner. Oder um den Ruf, in die Fussstapfen von Antide Janvier oder Abraham-Louis Breguet getreten zu sein. Es ging ihm vielmehr um die Suche nach Bedeutung. Der Begriff sagt schon genug aus: «Mitschwingen». Das erste Stück, das nach dem Resonanzprinzip gefertigt wurde, war eine monumentale Uhr im Jahr 2000, bevor das Ganze einige Jahre später in eine Armbanduhr integriert wurde.

Bei Beat Haldimann kommen die brennenden Themen der Uhrenindustrie zusammen: Tradition, Handwerk und technische Exzellenz. Dennoch ist seine Verbindung zur Branche schwach. Und sein Einstieg in den Beruf erfolgte per Zufall. Auf dem Weg zur Schule musste er täglich bei einem Uhrmacher vorbei und schaute fasziniert zu: «Von der Strasse aus konnte man nur seine Hände sehen, man wusste nicht, was er tat.» Hätte der Mann ihn nicht als Lehrling akzeptiert und hätte der Lehrling früher gewusst, dass er mehrmals pro Woche den Zug nehmen müsste, um die Theoriekurse in Solothurn zu besuchen, hätte Beat Haldimann vielleicht etwas anderes gelernt.

mechanische show

Heute sagt er, dass er von seiner Arbeit, die so vieles beinhalte, begeistert sei: «Ich liebe alles, was ich tue, die Konstruktion, die Werkbank, die Literatur.» Und auf die Frage, was davon er denn am liebsten liebe, hat er eine ganz einfache Antwort: «Das, was ich eben gerade mache, ich lebe immer in der Gegenwart.» Seine wahre Leidenschaft sei es, dem, was er tue, einen Sinn zu geben. Und Menschen zu finden, mit denen er es teilen könne. Das ultimative Kompliment kam von einem Kunden, der ihm schrieb, er habe beim Betrachten seiner Uhren die Zeit als solche vergessen.

«Uhren, dank denen man die Zeit vergisst.» Die Idee klingt wie ein Lebenslied für Beat Haldimann. Denn sein Antrieb ist es, ein Instrument zu schaffen, um just das Aufregendste, das am schwersten Fassbare, das Unaussprechlichste der Zeit zu erforschen: die Gegenwart. Die ganze Meisterschaft des Uhrmachers hat allein dieses Ziel, den Betrachter in die Gegenwart zu bringen, ins Unmittelbare. Durch den Klang – alle seine Werke schwingen bei niedriger Frequenz. Durch den Ton – etwa beim Modell H9 Reduction, dessen Tourbillon unsichtbar ist, versteckt hinter einem schwarzen Glas. Durch die Optik – weil die mechanische Show immer im Vordergrund steht, was die Leidenschaft für das Tourbillon erklärt. Durch die Berührung – alle Werke sind mechanisch, mit Handaufzug und einer begrenzten Gangreserve ausgestattet, um die Kontaktmöglichkeiten zu vervielfachen und den Mechanismus für den Generationenverlauf zu schonen. Durch die kleinen und vielen Veränderungen schliesslich, die Haldimann von Uhr zu Uhr einführt: die abgerundete Form des Ankers zum Beispiel oder die Form der Zeiger, eine Demonstration, dass nichts für immer gültig ist. 

«Ich versuche, die Zeit so auszudrücken, wie sie ist, als ein Fliessen», sagt Haldimann. «Ich versuche nicht, sie zu messen.» |