ADRIAN BOSSHARD, CEO CERTINA | INTERVIEW

» Ich sehe grosses Potenzial.
The future is bright


Adrian Bosshard über weisse Flecken auf der Karte, Preispositionierung seiner Marke, Retailstrategie, E-Commerce. Und darüber, warum er die Zukunft ausgesprochen rosig sieht.

Interview: Pierre-André Schmitt

Herr Bosshard, das Jahr 2019 neigt sich dem Ende zu. Wie sind Sie damit zufrieden?

Wir verzeichnen im Moment in über zwei Dritteln unserer Märkte ein Wachstum, beim Rest werden wir bis Ende Jahr wohl noch aufholen. Das Umfeld in unserem Preissegment ist herausfordernd, aber wir sind zuversichtlich, dass wir das Jahr mit einem Plus abschliessen werden. Im Moment haben wir ein ganz grosses Wachstum in China, Russland entwickelt sich super, auch Polen und Skandinavien. In der Schweiz sind wir mit dem lokalen Geschäft sehr zufrieden, beim Tourismus ist es eher ein bisschen verhalten. Certina ist eine internationale Marke, aber noch keine globale. Wir haben in gewissen Märkten nach wie vor Potenzial.

Es gibt es noch weisse Flecken auf der Karte?

Klar. Die ganze Uhrenindustrie macht ein Drittel des Geschäfts in Europa und alles andere in Asien und Amerika. Wir machen zwei Drittel in Europa, das heisst, wir haben in Asien noch grosses Wachstumspotenzial.

Wie sieht es in den USA aus?

In den USA sind wir im Moment nicht präsent.

Für eine sportliche Uhrenmarke müsste das aber fast sein.

Die USA wären prädestiniert für uns. Aber wir wollen Schritt für Schritt vorgehen. Wir haben vor vier Jahren in Grossbritannien begonnen, in China, Hongkong und Malaysia sind wir noch verhältnismässig klein, dort haben wir jetzt grosse Investitionen getätigt. Wenn die ihre Früchte tragen, wenn wir in Asien einen schönen Level erreicht haben, werden wir die USA angehen. 

Dieses Jahr ist ein spezielles Jahr für Certina, Sie feiern das 60-Jahr-Jubiläum des legendären Double-Security-Systems. Wie begehen Sie es?

Wir wollten den Geburtstag nicht nur mit Cüpli-Events und Marketing zelebrieren, sondern mit einem bleibenden und ganz speziellen Produkt unterstreichen, natürlich mit einer exklusiven Uhr. Wir haben uns für das Design klar vom Ursprungsmodell inspirieren lassen, von der DS-1, mit der seinerzeit das DS-Konzept lanciert worden war. Wir bieten unter anderem ein Grossdatum, antimagnetische Nivachron-Technologie und ein Zifferblatt in Vintage-Grün.

Warum ist das DS-System für Certina so wichtig?

In den 1950er und 1960er Jahren bestand die grosse Herausforderung darin, mechanische Uhren stosssicher und wasserdicht zu machen. Certina stand schon immer für Widerstandsfähigkeit und Robustheit, dadurch haben wir auch früh den Weg an die Handgelenke von Tauchern, Bergsteigern und von Sportlern gefunden – von Leuten, die extreme Sachen mit den Uhren machten. 1959 lancierten wir das DS-System, das einerseits das Werk in einen O-Ring-Stossdämpfer einbettet und anderseits die Abdichtung von Stellwellen und Krone doppelt ausführt. Das hat Certina einen Riesenaufschwung gegeben, weil wir die Uhr wirklich für aktive Leute anbieten konnten. Und zwar in einem Preissegment, das für die Jungen und für Sportler bezahlbar blieb.

In welcher Preislage bewegt sich Certina denn?

Wir bewegen uns im Preissegment zwischen 300 und 1500 Franken – der Löwenanteil liegt zwischen 300 und 1000 Franken. Wir haben auch einzelne Stücke für 2000 Franken, aber der Durchschnittspreis bewegt sich um die 600 Franken. Bei dieser Positionierung blieben wir, auch wenn wir unsere Uhren permanent technisch und in Bezug auf die Materialien weiterentwickeln. Das ist sicher auch einer der Gründe dafür, dass wir uns in den letzten Jahren so gut im Markt behaupten und entwickeln konnten. 

Mit anderen Worten: Die Stückzahlen sind auch in den letzten Jahren gestiegen?

Wir verkaufen zwar nach wie vor mehr Quarz als Mechanik, aber der mechanische Anteil hat massiv zugelegt. Wir konnten die Stückzahlen halten, beim Durchschnittspreis legten wir damit etwas zu, weil mechanische Uhren ja teurer sind. 

Schaut man sich die Exportstatistik an, sieht man, dass Uhren zu weniger als 5000 Franken unter Druck sind. Spüren Sie das?

Ein Grund dafür ist, dass sich die Distribution in einem massiven Umbruch befindet. Die guten Detaillisten, die investiert haben und dem Konsumenten einen Mehrwert bringen, behaupten sich und haben definitiv eine positive Zukunft vor sich. Mit solchen Partnern sind wir auf einem interessanten Wachstumskurs. Aber die Juweliere, die einfach passiv hinter dem Tresen auf den Konsumenten warten, sind nicht nur am Erodieren, sie werden verschwinden. Kompensiert wird dies in Zukunft sicherlich auch über ein qualitatives E-Commerce-Geschäft, welches wir in der Schweiz mit selektiven Partnern betreiben.

Das spüren Sie?

Wir sehen in vielen Ländern Läden, die schliessen, es ist eine grosse Konzentrationsentwicklung im Gang. Gleichzeitig steigen die Ansprüche. Der Kunde will Auswahl haben, auch in unserem Preissegment. Wir haben eine aktive Kollektion von 200 Modellen – wenn ein Geschäft nur 35 Uhren am Lager hat, dann ist das zu wenig. Das reicht heute einfach nicht mehr.

Wir haben Certina stets als Marke wahrgenommen, die nicht nur bei den ganz renommierten Händlern an den Prachtstrassen dieser Welt präsent ist, sondern zum Beispiel auch in Olten und an kleineren Orten.

Das schliesst Qualität nicht aus. Wir haben in Olten, Thun, Bern, Huttwil und so weiter sehr kompetente Juweliere, die investiert haben und sehr professionell arbeiten. 

Und die unterstützen Sie weiterhin?

Die unterstützen wir extrem, wir brauchen sie. Diese Geschäfte sind unsere Botschafter. Für mich ist ganz klar, dass der traditionelle Retail auch in Zukunft das Rückgrat unserer Distribution bleiben wird. Wir werden den Fachhandel mit Marketingmassnahmen, mit Spezialfenstern und so weiter unterstützen. Auch in unserem Preissegment kauft der Konsument keine Uhr, allein um die Zeit abzulesen, auch hier kauft er Emotion. Und diese Emotion bringt man herüber, wenn man eine adäquate Distribution hat, die auch die Marke wertig präsentiert. Wir haben in der Schweiz eine massive Erosion der Anzahl von Verkaufspunkten, aber wertmässig konnten wir das kompensieren, weil dafür einzelne Verkaufspunkte deutlich mehr Umsatz machen. 

Wie viele Verkaufspunkte weniger sind es?

Wir haben heute etwa 270 Verkaufspunkte in der Schweiz. Als ich vor 23 Jahren bei Certina anfing, waren es 440.

Was sind die Gründe dafür?

Es gibt zum Beispiel Händler, sie sich entschieden haben, nur noch im Top-Luxus-Bereich tätig zu sein. Es gibt Geschäfte, die aufgeben. Und es gibt Retailer, die unseren qualitativen Kriterien nicht mehr genügen, da beenden wir die Zusammenarbeit. Aber wer ein passendes Markenumfeld hat, kompetentes Personal beschäftigt, ein gut sortiertes Lager führt und uns einen guten Schaufensterplatz gibt, ist uns ein sehr genehmer Partner. Auch 500 Franken für eine Uhr sind viel Geld. Der Kunde verdient es, dass diese Uhr in einem qualitativen Umfeld mit kompetenter Beratung präsentiert wird. Wir sehen auch, dass der E-Commerce an Bedeutung gewinnt.

Und was heisst das für Sie?

Certina hat in der Schweiz keinen eigenen E-Commerce, wir haben es kurzfristig auch nicht geplant. Aber wir haben diverse dynamische Partner, die aktiv E-Commerce betreiben – auch in Zusammenarbeit mit uns. Wir helfen beim Aufbau des Webshops, mit einem qualitativen Angebot, mit unseren Themen, mit Inhalten. Aber wir tun das nur mit Retailern, die auch einen physischen Laden haben. 

Warum?

Weil wir den Service als sehr wichtig erachten, er gibt auch Vertrauen. Wenn Sie eine Certina wollen, dann können Sie die Uhr problemlos online bestellen. Sie haben die Gewissheit, dass Sie ohne weiteres ins Geschäft gehen können, wenn Sie zum Beispiel das Band kürzen wollen. Oder sonst ein Serviceanliegen haben.

Certina stand immer auch für Quarzuhren. Pflegen Sie das weiterhin?

Die Kultur der mechanischen Uhren ist massiv am Wachsen, das kann man nicht wegdiskutieren. Aber natürlich hat eine Quarzuhr auch ihre Vorzüge, sie ist sehr präzis, preisgünstig und läuft auch, wenn sie nicht am Handgelenk ist. Wir verwenden mit Precidrive-Quarzwerken eine Technologie, mit der wir eine COSC-Präzision erreichen. Aus diesem Grund zertifizieren wir unsere Quarz-Sportuhren auch, und der Kunde kommt bei diesen Modellen in den Genuss von zwölf Monaten zusätzlicher Garantie. Quarz ist weder schlechter noch besser als Mechanik – es ist etwas anderes. 

Sie sind jemand, der viel reist: Wie erklären Sie Certina einem Menschen, der die Marke noch gar nicht kennt?

Certina ist ein Teil des Ursprungs der Schweizer Uhrenindustrie, 1888 gegründet. Wir gehören zu den Marken, welche die Schweizer Uhrenindustrie aufgebaut und geprägt haben. Wir haben zudem den Vorteil, dass wir zur grössten Uhrengruppe weltweit gehören und dadurch auch Zugang zu allen Technologien haben, das macht uns in Bezug auf Value-for-Money sehr stark. Certina ist der Einstieg in die hochwertige Schweizer Uhrmacherei.

Sie sind auch CEO von Union Glashütte. Wir sieht es da aus?

Union Glashütte ist eine Marke, die mir persönlich sehr viel Freude macht. Es ist etwas ganz anderes, «Made in Germany», und dort bauen wir ausschliesslich mechanische Uhren. Aber es ist nicht so, dass wir es mit komplett anderen Konsumenten zu tun hätten. Wer eine Uhr von Union Glashütte hat, freut sich oft auch über eine Certina, und umgekehrt. Schliesslich ist auch Union Glashütte keine Marke im Top-Luxus-Segment, wir bewegen uns zwischen 1000 und 3000 Euro. 

Wie sehen Sie die Zukunft von Certina?

Wir wissen, dass global pro Jahr über eine Milliarde Armbanduhren verkauft werden. Nur etwa 25 Millionen davon sind Swiss-Made-Uhren. Ich sehe für eine Marke wie Certina ein Riesenwachstumspotenzial, weil wir alles haben, was eine hochwertige Swiss-Made-Marke haben muss: Tradition, Geschichte, emotionale Werte, rationale Werte, Kompetenz. Mit der heutigen Entwicklung in Ländern wie China, Russland und anderen haben mehr und mehr Leute Zugang zu hochwertigen Uhren in einem erschwinglichen Preissegment. Aus diesem Grund sehe ich für unsere Marke grosses Potenzial, zumal wir in vielen Ländern noch überhaupt nicht präsent sind, in gewissen Märkten erst starteten und dort schon eine schöne Entwicklung sehen. The future is bright. Definitiv. 

Viele junge Leute tragen heute nicht einmal eine Smartwatch, sie tragen gar keine Uhr. Was machen Sie da?

Wer eine Smartwatch kauft, kauft Funktion, wer eine Swiss-Made-Uhr erwirbt, kauft Emotion, das ist ein grosser Unterschied. Und wenn jemand gar keine Uhr trägt, dann liegt es an uns, diesen Leuten in einer emotionalen Art und Weise die Vorzüge und Stärken unserer Uhren zu vermitteln. Da bietet uns auch die ganze Digitalisierung extrem viele Möglichkeiten und Chancen. In China zum Beispiel kann ich mit Partnern im E-Commerce und über Digitalmarketing sehr schnell sehr viele junge Kunden erreichen. Und dort sehen wir klar, dass auch Leute, die bislang keine Uhren getragen haben, über emotionale Digitalwerbung effektiv angesprochen werden können.

Können Sie sich an Ihre erste Uhr erinnern?

Es gibt drei Uhren, an die ich eine Supererinnerung habe: eine Certina DS-2, eine Swatch Scuba und eine Omega Speedmaster. Als 12-, 13-Jähriger ging ich oft ins Kongresshaus in Biel, wo man gratis Filme anschauen konnte. Dort machte mir ein Werbespot Eindruck, den wir übrigens nach wie vor in unserem Archiv haben und bei Präsentationen zeigen: Ein Fallschirmspringer landet auf einem Kiesboden, überschlägt sich mehrmals und schaut dann auf seine Certina DS, die das alles locker wegsteckt. Dieser Spot hat sich mir eingebrannt, und ich wollte unbedingt eine Certina DS. Mein Vater hat sie mir dann geschenkt. Anfang der 1980er Jahre kam eine Scuba Diver dazu, das war damals die Sammleruhr, die jeder haben musste. Und schliesslich habe ich mir später noch eine Omega Speedmaster gegönnt, ein Modell mit dem Hesalit-Glas. Das alles sind Uhren, die mir viel bedeuten |


 

Aus Watch Around N° 44
Dez.2019/Januar 2020

 
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