INTERVIEW | FRANÇOIS-HENRY BENNAHMIAS, CEO AUDEMARS PIGUET

«Begehren ist etwas, was man schafft!»


Ein Shitstorm brach über ihn herein, als er die neue Kollektion Code 11:59 präsentierte. Doch die Verkaufszahlen geben ihm recht – was seine Fans nicht überraschen wird. Seit François-Henry Bennahmias bei der Marke am Drücker ist, geht es mit Audemars Piguet aufwärts. Erstmals seit langem soll deshalb die Produktion leicht erhöht werden


Stéphane Gachet

Herr Bennahmias, neginnen wir mit den Zahlen. Liegen Sie immer noch über einer Milliarde Dollar Umsatz?

Das kann ich bestätigen. Wir sollten das Jahr bei einem zweistelligen Wachstum mit 1,2 Milliarden abschliessen. Nach wie vor bei gleicher Stückzahl.

Ihre Retail-Integrationsstrategie zeigt also die erwarteten Effekte?

Ja.

Sind Sie nun bereit, die Zahl der produzierten Uhren zu erhöhen, wie Sie angekündigt haben?

Unser erstes Ziel war es, das Vertriebsnetz zu festigen und das Produktionswerkzeug parallel dazu auf den Just-in-time-Bedarf auszurichten. Denn das Lager ist der grösste Feind des Einzelhandels.

Sind Sie jetzt so weit?

Heute wird jedes Teil unseres Inventars verfolgt. Das Monitoring ist fast auf das Einzelstück heruntergebrochen, und wir sind bereit, die Mengen im nächsten Jahr wie geplant etwas zu erhöhen.

Eine Erhöhung um ein paar tausend Stück?

Wir sind nicht gerüstet, um einen grösseren Sprung zu machen. Die Produktion wird daher nur leicht steigen.

Wie sieht Ihre Marktstrategie über das Volumen hinaus aus? Verschieben Sie Uhren von einem Markt zum anderen, wie viele Ihrer Wettbewerber?

Wir tun das nicht, aus einem einfachen Grund: Wir haben überall einen Mangel an Uhren. Der aktuelle Lagerbestand ist der niedrigste, den Audemars Piguet je gesehen hat.

Nämlich?

Ich nenne Ihnen das Beispiel unserer Pariser Boutique: Derzeit sind 19 Uhren auf Lager, drei Modelle im Schaufenster. Eine unserer Hauptaktivitäten ist es, diesen Mangel zu beheben, den Kunden zu begleiten, der eine Boutique betritt und nicht die Uhr findet, die er sucht.

Indem Sie dem Kunden mit Rabatt ein anderes Modell schmackhaft machen?

Auf keinen Fall. Wir haben auch absolut keinen Grund dazu: Wir haben derzeit etwa zwanzig Referenzen, die auf dem Sekundärmarkt mehr wert sind als ihr öffentlicher Preis.


» Wir sind an der Grenze, wir müssen das Volumen im nächsten Jahr wirklich erhöhen. Auch wenn wir die Zahl der Verkaufsstellen weiter reduzieren werden..
– François-Henry Bennahmias


In einem solchen Kontext sieht die Bewältigung des Engpasses nicht wie ein Problem aus. Oder doch?

Es ist ein Problem. Wir sind an der Grenze, wir müssen das Volumen im nächsten Jahr wirklich erhöhen. Auch wenn wir die Zahl der Verkaufsstellen weiter reduzieren werden.

Was ist mit dem nächsten Wachstumsziel? Ist es in Zahlen festgelegt?

Das wird von Land zu Land sehr genau quantifiziert. Wir haben gerade unseren Fünfjahresplan aufgestellt, und der Weg ist klar.

Das klingt alles sehr einfach, aber wie lange hat es gedauert, bis Sie die Integration des Einzelhandels aufgebaut hatten und dorthin gelangt sind, wo Sie heute stehen?

Wir haben sieben Jahre gebraucht. Es dauert ein paar Monate, um eine Strategie festzulegen, der lange Schritt ist die Umsetzung, und es braucht die Zeit, die nötig ist, um sie gut zu machen. Wir müssen uns auch mit den notwendigen Ressourcen ausstatten: Wir hatten im Jahr 2012, als ich in die Leitung übernahm, 1200 Mitarbeiter, 2020 werden es 2200 sein. Ich verheimliche Ihnen nicht, dass Unabhängigkeit ein bedeutender Vorteil ist.

Sie wollen sagen, die guten Jahre liegen vor Ihnen?

Die gute Nachricht ist, dass wir uns in einem guten Zustand befinden. Wir werden unseren Stückzahl-Bedarf konstruktiv überprüfen, und der Umsatz wird steigen.

Ein Wort zu den Märkten. Alles schaut gerade nach Hongkong …

Wir beobachten die Märkte jeden Tag. Was Hongkong betrifft: Lassen Sie uns Holz berühren. Im Moment läuft das Geschäft für uns gut.

Sie sind zuversichtlich?

Natürlich! Wenn man sich auf ein Volumen von 40’000 Uhren pro Jahr beschränkt, wie wir das bisher taten, hat man nur Chancen. Das sind nicht mehr als 5000 Uhren pro Land, und es gibt an die 20 Millionen Millionäre auf der Welt. Allein in der Schweiz gibt es mehrere hunderttausend Millionäre, und wir verkaufen nur 4000 Uhren. Natürlich kann das globale Gleichgewicht jederzeit gestört werden, aber wir bleiben ruhig.

Sind Sie auch zuversichtlich, dass die Uhr ein begehrenswertes Objekt bleibt?

Begehren ist etwas, was man schafft!

Wie?

Das ist eine Mammutaufgabe, und das Problem ist, dass sie nicht standardisiert werden kann: Die Definition dessen, was wünschenswert ist, ist in New York, Hongkong oder Shanghai nicht die gleiche.

Eine so positive Rede hört sich gut an, wo die meisten Ihrer Mitbewerber gerade leiden.

Die Uhrmacherei hat viel zu bieten. Und es gibt viele Menschen, die nicht begreifen wollen, warum ich mich weigere, das Glas halb leer zu sehen. Die Uhrenindustrie leidet, aber nicht aus den richtigen Gründen.

Nämlich?

Zum Beispiel sagten seinerzeit alle, die Einführung der Smartwatch werde den Markt kaputtmachen und junge Menschen würden keine traditionellen Uhren mehr tragen wollen. Fünf Jahre später beobachten wir das Gegenteil. Die Uhrmacherei ist ein exklusives Handwerk, ein Vektor der Differenzierung, eine sehr gesunde menschliche Erfahrung. Diese Werte sind nach wie vor vorhanden. Man muss aufhören, Angst zu haben.

Vielleicht fehlt es in der Uhrenindustrie an charismatischen Chefs. Was ist Ihr Rezept?

Ich habe die Fähigkeit, meine Mitarbeiter ins Boot zu nehmen und auf die Ziele einzuschwören.

Sie begeistern sie?

Wenn Sie so wollen. Aber ich tue es auf einer realen Basis.

Kommen wir zum heissen Punkt, zur Kollektion Code 11:59, die Anfang des Jahres lanciert und in sozialen Netzwerken heftig kritisiert wurde. Wie sieht es da aus?

Der Start verlief gut. Wir haben in diesem Jahr 2000 Stück produziert, für das nächste Jahr haben wir bereits 4000 Stück budgetiert.

Sie macht also Sinn?

Absolut, sie hat ihre Daseinsberechtigung – und mehr: Über 50 Prozent der Kunden sind Neukunden, und ihr Durchschnittsalter liegt zwischen 25 und 35 Jahren.

Mit anderen Worten: Code 11:59 passt zum Ziel der Erneuerung und Verjüngung der Kundschaft?

Genau das stand im Pflichtenheft, und ich wusste am 18. Dezember 2018, dass der Start funktionieren würde, als wir das Projekt allen Mitarbeitern in der Schweiz vorstellten. 1200 Menschen betraten den Raum, sie gingen gemeinsam motiviert wie ein Mann heraus.

Verstehen Sie die Kritik dennoch? Es ist nicht das erste Mal, dass Audemars Piguet versucht, aus der Abhängigkeit von der Royal Oak herauszukommen, und bisher war es nicht überzeugend.

Es geht darum, Audemars Piguet das zurückzugeben, was der Marke gehört. Das Haus hat ohne die Royal Oak viel länger gelebt als mit der Royal Oak, und wir haben eine echte Legitimität beim Thema der runden Uhr. Der Unterschied zu früher besteht darin, dass wir diesmal die Übung ohne Kompromisse gemacht haben.

War es wichtig, gerade jetzt mit etwas Neuem zurückzukommen?

Das Timing ist wirklich nicht das Wichtigste. Die Uhrmacherei ist eine Welt, die von Männern und Frauen geprägt wird, die mehr Talent haben als ich. Meine Aufgabe ist es, dieses Talent zum Ausdruck bringen zu lassen.

Haben Sie schon Pläne für eine nächste ikonische Audemars-Piguet-Uhr?

Ehrlich gesagt, wen interessiert das schon? Wir sind noch weit davon entfernt, die Kraft des Bestehenden ausgeschöpft zu haben. Ich möchte die Dutzende von Millionen potenzieller Kunden ansprechen und erklären, worum es bei der Uhrmacherei geht, bevor ich über die Schaffung einer neuen Ikone nachdenke.

Ihr Rat an junge Markenchefs?

Wage es mit Zuversicht. |


 

Aus Watch Around N° 42
Okt./Nov. 2019

 
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