ROLF PORTMANN, ORIS | BLICK ZURÜCK

Der Mann, der das Bürokraten-Monster sprengte. Und dann die Marke Oris rettete


Dass es die Marke Oris heute noch gibt, ist vor allem sein Verdienst: Rolf Portmann, heute Ehrenvorsitzender, hält Rückschau auf seinen ganz grossen Kampf.


Pierre-André Schmitt

Der Mann brauchte Geld, gigantisch viel Geld. Er brauchte es für ein Unterfangen, das bei jedem nüchtern kalkulierenden Buchhalter panik­artige Schnappatmung auslösen musste: Rolf Portmann wollte 1981 die defizitäre Uhrenmarke Oris vom grossen Uhrenkonglomerat ASUAG zurückkaufen und zu neuer Blüte bringen. Es war – noch in der Zeit der grossen Uhrenkrise – so etwas wie ein utopischer Traum. Und Portmann investierte alles dafür: sein Geld, seine Zeit, seine Energie. Und seinen Ruf.

Heute kann sich der gegen 90-jährige Entrepreneur im Büro an der Ribigasse 1 im baselländischen Hölstein entspannt und lächelnd zurücklehnen. Oris hat den Turnaround längst geschafft und ist zu einer stylishen und erfolgreichen Marke avanciert. Nebenbei auch zu einer hochrentablen. Dass das vor allem ihm zu verdanken sei, dementiert Rolf Portmann höflich: «Mein Verdienst ist nur, dass ich damals das Risiko einging und daran glaubte.»

Es habe schlaflose Nächte gegeben, gibt Portmann heute zu. Und manchmal hätten ihn auch starke Kopfschmerzen geplagt. Denn das Risiko war enorm. Der gelernte Jurist hatte ja auch sein eigenes Geld investiert. 


» Die zwei Bankdirektoren hatten nur eine Frage:
Wie viel brauchst du?

Rolf Portmann, Ehrenvorsitzender


Nur hätte das bei Weitem nicht gereicht. «Ich war ein Glückspilz», sagt Portmann. Die Suche nach Kapital erwies sich erstaunlicherweise als nicht allzu schwierig. Zwei befreundete Bankdirektoren suchte er auf, einen bei der Baselbieter Kantonalbank, einen bei der UBS. Beide stellten nur eine Frage, bevor sie blanko einen sehr namhaften Kredit bewilligten: «Wie viel brauchst du?»

Auf einer A4-Seite hatte Portmann die wichtigsten Kenndaten aufgeführt: «Von einem Businessplan, wie er heute üblich ist, war das weit entfernt», sagt er.

Doch bevor wir näher darauf zurückkommen, sei ein Blick weiter zurück geworfen. Rolf Portmann startete seine Karriere bei Oris 1956, und die damalige Oris hatte mit der heutigen Marke nur wenig gemein. Über eine Million Uhren baute man pro Jahr, günstige Stiftanker­uhren waren es. Vier bis fünf kleine Busse und zwei grosse Cars sammelten die Mitarbeiter täglich in der Region ein. 1955 waren 639 Personen in Hölstein beschäftigt, dazu kamen 80 Heimarbeiter, die, so Portmann, mit einem «Gerätli daheim» Uhrenbestandteile für Oris produzierten. 

Es lief wie geschmiert für die Hölsteiner, doch zufrieden geben wollte man sich damit nicht. Direktor Oscar Herzog wollte mehr, er wollte vor allem mit qualitativ besseren Uhren neue Marktsegmente erobern. Er wollte Uhren in der mechanischen Königsklasse bauen, Uhren mit einer hochwertigen Schweizer Ankerhemmung.

Und genau das war ihm verboten.

Das Uhrenstatut, das einst zum Schutz der Schweizer Uhrenindustrie entwickelt worden war, regelte die Schweizer Uhrenproduktion planwirtschaftlich bis ins letzte Detail. Festgeschrieben war darin etwa, wer in welcher Fabrik wie viele Angestellte beschäftigen konnte. Dazu – akkurat aufgeteilt auf 30 Sparten –, wer genau was produzieren durfte. 

Anders gesagt: Das Uhrenstatut war ein archaisches bürokratisches Ungetüm. Und es stand den Plänen des Oris-Direktors auf der Fahrt in die neue Zukunft wie eine wuchtige Panzersperre im Weg. «Stopp!», schien in grossen Lettern darauf zu stehen – «Weiterfahrt verboten!». Zum Beispiel, als er in Biel eine Zifferblattfabrik gekauft hatte, um seine Expansionswünsche voranzutreiben.

Rolf Portmann war der Mann, der angestellt wurde, um die Panzersperre politisch zu sprengen. Man würde heute sagen, er wurde als Lobbyist angeheuert. «Damals», so lacht er, «wusste allerdings niemand, was Lobbying ist und wie das funktioniert.» Schon gar nicht Portmann selber.

Doch er lernte schnell. «Zwischenbilanz des Uhrenstatus» hiess etwa der Titel eines ganzseitigen Artikels in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 18. Mai 1956. Unter der sachlichen Schlagzeile stand ein flammendes Plädoyer gegen die planwirtschaftlichen Fesseln in der Uhrenindustrie. Autor war Rolf Portmann, er hatte den Artikel unter dem Kürzel «M.» geschrieben. Andere erschienen in der «Berner Zeitung» und in den «Basler Nachrichten».

Rolf Portmann, der in einem Büro von Oris an der Hölsteiner Ribigasse 1 sitzt, unterbricht seine Erzählung, um einen Schluck Wasser zu trinken. «Ich wusste rasch, dass ich Allianzen schmieden muss», sagt er. Nur war das nicht ganz einfach. Den Uhrenpatrons in der Romandie gefiel das Uhrenstatut, auf sie konnte er nicht zählen. Bei den Deutschschweizern war das Interesse oft eher mässig, als Verbündete gab es vielleicht die Marken Brac in Breitenbach und Amida in Grenchen – das ergab nicht gerade einen starken Stosstrupp im Kampf gegen eine wuchtige Panzersperre.

Durchbruch

Blieben Politiker. Aber auch hier realisierte Portmann rasch, dass er nicht auf Parlamentarier aus den welschen Kantonen zählen könnte. Und ebenso wenig auf Politiker aus links regierten Kantonen: Die Gewerkschaften standen hinter dem Statut, unter anderem, weil es die Anstellung von Fremdarbeitern strikte untersagte.

Den Durchbruch brachte eine Einladung. Portmann lud die Eidgenössische Preiskommission nach Hölstein, zeigte die Fabrik, hielt ein Referat. «Wir haben erklärt, was wir da machen», sagt Portmann – und es wurde offensichtlich verstanden. Der Bericht der Kommission zuhanden des Bundesrates war die erste Bresche durch die Panzersperre, das Statut hatte sich überlebt.

Rolf Portmann kramt in seinen Papieren – einige schon leicht gelblich, die meisten mit Schreibmaschine getippt. Doch im Grunde genommen braucht er sie nicht. Er hat über 50 Jahre der Geschichte von Oris miterlebt und entscheidend mitgeprägt. Und er hat nichts vergessen.

Warum, so fragen wir ihn, warum hat man denn 1970 die prosperierende und unabhängige Marke Oris an die ASUAG verkauft? 

Das Management übernimmt

«Wir sahen die Quarzkrise kommen», sagt Rolf Portmann. Man habe realisiert, dass man ein eigenes Quarzkaliber selber niemals würde stemmen können, «also begannen wir unsere Fühler auszustrecken». Hinzu kam, dass man zwar nach dem Fall des Uhrenstatuts bald sehr wohl ein erstes eigenes Anker-Manufakturkaliber baute. Aus eigener Kraft aber, so war ebenfalls deutlich geworden, würde es schwierig werden, rasch genug weitere Werke zu entwickeln. Portmann besuchte sieben Unternehmen, die man vielleicht kaufen wollte, aber auch diese Option führte nicht weiter. Schliesslich kam die Anfrage der ASUAG, bei der geplanten neuen GWC-Holding mitzumachen – anfänglich sehr zur Freude von Portmann: «Ich war richtig begeistert», sagt er.

Nicht lange. Überzeugende Konzepte für die Zukunft fehlten, die Rahmenbedingungen wurden schwierig, und 1977 produzierte Oris tatsächlich erstmals ein Defizit. Zuvor hatte man mitunter jährlich eine halbe Million Gewinn gemacht, doch jetzt waren auch Schulden aus der Übernahme zu verzinsen. Und das würde auffressen, was zuvor verdient worden wäre.

Schon 1975 begann Rolf Portmann mit dem Gedanken eines Management-Buy-outs zu spielen. Und bald einmal fragte er den GWC-CEO Marco Brüesch ganz direkt, ob Oris denn eventuell zu haben wäre. «Wir haben 30 Millionen bezahlt für die Oris», antwortete Brüesch, «das gäbe einen richtig grossen Abschreiber.» Doch der Mann, der militärisch den Rang eines Obersten bekleidete, muss dabei wohl leicht mit den Augen gezwinkert haben. Auf jeden Fall liess er durchblicken, dass so etwas machbar wäre. Und also geschah es. 

Portmann zieht ein Papier mit der Auflistung aller Aktiven hervor. «Warenlager: 1,5 Millionen», steht da etwa. Fein säuberlich sind alle Werte aufgeführt – stets mit einer Prozentzahl versehen, die für die vorgeschlagene Abschreibung steht. Wie viel Oris gekostet hat, sagt Portmann nicht, es müssen wohl zwischen fünf und zehn Millionen Franken gewesen sein – in Tranchen zurückzubezahlen.

Liquidation

Dafür erhielt man vorab eine Marke. Denn die eigentliche Manufaktur, die Produktion von eigenen Werken, war zu liquidieren. Maschinen, Gebäude und 100 firmeneigene Wohnungen musste Portmann verkaufen – zugunsten der alten Oris. Und auch vom Personal musste man sich weitgehend trennen – für den Chef ein Albtraum. Nach wie vor 220 Menschen arbeiteten bei Oris, sie konnten zum Glück fast ausnahmslos platziert werden. 

Die Geschichte mündete in ein Happy End. Rasch wurde deutlich, dass Rolf Portmann und seine Entourage, allen voran Direktor Ulrich W. Herzog, das Baby Oris schaukeln würden.

Grösste Sorge der neuen Leitung: Würde die Kundschaft Uhren im Preisbereich von 100 bis 300 Franken akzeptieren, wo Oris bisher für das Segment von 30 bis 40 Franken stand?

Die Antwort steht in den Büchern: 1983 verkaufte Oris 460’000 Uhren. Diese Menge hatte sich zum Zeitpunkt des Buy-outs in Form von Fertiguhren, Werken und Rohwerken im Lager befunden. Schon bald fuhr man Gewinne ein, wenn auch am Anfang noch kleine.

1985 fiel ein visionärer Entscheid. «Wir wagen es!», entschied die Geschäftsleitung und meinte die vollständige Abkehr von der Elektronik. Wo die meisten Marken das Heil noch in der Quarzuhr sahen, konzentrierte sich Oris fortan auf die mechanische Uhr. «It’s High Mech», verkündeten keck die Inserate der baselländischen Firma über das Innere ihrer Uhren. 

Rolf Portmann war von der ersten Stunde an Hauptaktionär: Über die Hälfte hatte er zum Aktienkapital beigesteuert, einen weiteren namhaften Teil schossen zwei Freunde ein. Die restliche Summe kam von vier Mitarbeitern, allen voran von Direktor Ueli Herzog. Inzwischen hat die Familie Portmann die Mehrheit an leitende Mitarbeiter abgegeben.

Ohne Rolf Portmann, daran gibt es keinen Zweifel, gäbe es Oris heute nicht mehr. Auf jeden Fall nicht in der heutigen Form. Meriten für sich reklamiert er trotzdem nicht. «Es war einfach ein kleines Wunder», sagt er. Und lehnt sich entspannt zurück. |


 

Aus Watch Around N° 36
März/April 2019

 
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