NORTH EAGLES | INNOVATION

Wie im Benzintank eines Autos: Eine Smartwatch mit explosiver Mission


Schnüffeln statt ticken: Eine Schweizer Uhr kann vor tödlichen Gasen warnen. Die Marke North Eagles will damit in der Petrobranche reüssieren.

Christian Kaufmann

Swiss made findet manchmal dort statt, wo man es nicht erwartet: North Eagles etwa, bisher eine eher unspektakuläre Firma im Private-Label-Bereich, wagt sich als Schweizer Unternehmen auf ein spezielles Terrain. Das Unternehmen aus La Neuveville mit drei Mitarbeitern und einer Jahresproduktion von 10’000 bis 15’000 Uhren geht in einen Markt, der mitunter als hochexplosiv gilt. Und das ist durchaus wörtlich gemeint.

Eben hat die Firma in Familienbesitz eine Smartwatch präsentiert. Sie ist made in Switzerland, connected, läuft vier Jahre lang ohne Batteriewechsel und kostet 995 Franken. Sie vibriert allerdings nicht für WhatsApp, kann keine Schritte zählen und verzichtet auch sonst auf allerlei handelsüblichen Gimmick. Streng genommen hat sie nur gerade drei Funktionen: Sie zeigt die Zeit an, kann die sie umgebende Atmosphäre analysieren, und sie kann Alarm schlagen. Die Uhr wird gebaut, um Menschenleben zu retten.

Tödliches Gas

Das gute Stück ist in der Lage, das hochgefährliche H2S-Gas aufzuspüren, das unter anderem im Ölgeschäft sehr gefürchtet ist. H2S heisst mit vollem Namen Schwefelwasserstoff (oder Wasserstoffsulfid beziehungsweise Dihydrogensulfid) und riecht bei einer geringen Dosis nach faulen Eiern. Höher konzentriert betäubt es die Sinne und tötet. Es kann überdies leicht entzündbare Gas-Luft-Gemische bilden.

Der entscheidende Schritt zum Erfolg der Uhr war die amtliche Zertifizierung für die verschiedenen Märkte der Welt. Die ersten Zertifizierungen sind Anfang März eingetroffen, und viele Testuhren befinden sich bereits auf dem Terrain. Interessenten mit Gewicht sind zum Beispiel ExxonMobil, Petronas, Abu Dhabi National Oil Company, Saudi Aramco und Tatneft.

Die Namen pflegt Olivier Voumard, CEO von North Eagles, schon seit fünf Jahren in sein Adressbuch ein. Seine Uhr stiess in der Ölindustrie umgehend auf wohlwollendes Interesse – als Alternative zu den bestehenden Sicherheitsinstrumenten, die zwar zuverlässig funktionieren, indes sperrig wie ein Natel aus den 1990ern sind. Im Vergleich dazu sieht die kleine Schweizer Uhr geradezu sexy aus. «Die Uhr ist ein Schutz für den Benutzer», sagt Voumard. Im Gegensatz zu anderen, eher hässlichen und klobigen Detektoren sei es «ein persönliches emotionales Instrument, das zusätzlich Sicherheit vermittelt». Swiss made sei da ein wichtiges Argument.

Tatsächlich ist das Stück zuerst einmal eine stilvolle Uhr mit analoger Anzeige, retro-techno-macho-futuristisch. Die ästhetischen Codes tragen erkennbar die Handschrift des Design­ateliers White in Neuenburg, das in der Uhrenindustrie sehr gefragt ist.

Unter dem Design steckt die Uhr voller Technik. Herzstück neben der eigentlichen Uhr ist der Gasschnüffelteil, dazu kommt der Alarm. Er funktioniert visuell mittels LED, taktil via Vibrator und akustisch über einen Alarmton von 96 Dezibeln. Ausgestattet ist die Uhr überdies mit einem Beschleunigungsmesser, der im Notfall eben auch Bewegungslosigkeit des Besitzers registrieren und melden kann. 

Erschwerend für die Ingenieure war die Tatsache, dass die Uhr in einem hochexplosiven Ambiente funktionieren muss, als bewegte man sich im Benzintank eines Autos. Die Uhr muss als Ganzes inert sein, darf zum Beispiel auf keinen Fall einen Funken oder eine statische Entladung verursachen. Alle Habillage-Elemente, dazu gehört auch das Band, sind deshalb aus speziellem Kunststoff. 

Die Uhrentechnik war ein Spaziergang. Ein paar bidirektionale Soprod-Motoren werkeln als Motor, die Batterie ist handelsüblich. Das Übertragungsmodul hingegen erwies sich als der anspruchsvollste Teil. Ausserhalb von Ölplattformen wird alles per Smartphone über eine App geregelt. Vor Ort hingegen wäre das zu gefährlich. Hier gibt es ein eigenes in der Schweiz entwickeltes Netzwerk, das allen Auflagen genügt und bereits zertifiziert ist.

Wendepunkt

Olivier Voumard macht die Box auf, die seine Uhren-Grundmodelle enthält: Orange, Stahlgrau und Schwarz dominieren als Farben. Und dann schiesst der quirlige Chef los und berichtet über allerlei Deklinationen, die mit der Gaswarnuhr noch möglich wären. Die Uhr ist ein Wendepunkt in seiner Karriere. Es ist das erste Mal, dass er ein Produkt vermarktet, das aus eigener Entwicklung stammt. 

In die Branche hat er sozusagen eingeheiratet, der Vater seiner Ehefrau ist eine grosse Nummer im Geschäft. Voumards erster Auftrag war Mitte der 1980er Jahre die Produktion von Uhren für die italienische Armee. Er tat dies für die Marke North Eagles, die er später mit seiner Ehefrau auch kaufte. Damit war der Weg vorgespurt. Feuerwehrcorps und Polizeieinheiten sowie ähnliche Organisationen sind nach wie vor die Hauptkunden, geliefert wird an «mehrere tausend Einheiten in der Welt». Für Kenner seien erwähnt: Folgore, Blackbird, AFOSI, GIGN, US Secret Service etc.

Härter im Nehmen

Bei den Kunden geht es nicht primär um martialische Anliegen, es gehe zum Beispiel um Zusammengehörigkeitsgefühl. Oft gehöre etwa die Uhr zusammen mit der Ray-Ban-Sonnenbrille zu den Must-have-Attributen von Piloten. In gewissen Ländern werden Einheiten mit Uhren ausgerüstet, weil sich die Soldaten diese selber gar nicht leisten könnten. Beliebt seien sie auch als Geschenk, vor allem bei Militärdelegationen. Last but not least: Die Uhr ist auch in diesen Kreisen oft ein Statussymbol.

Es gelten in diesem Markt mithin weitgehend die gleichen Wünsche wie im zivilen Leben auch. Nur dass an die Technik höhere Anforderungen gestellt würden. Die Soldatenuhr muss härter im Nehmen sein und die Zeit, wie Voumard sagt, «im militärischen Format anzeigen». Konkret: Quarzwerk, drei Zeiger oder Chronograph, Gehäuse aus Titan.

Als Wettbewerbsargument setzt North Eagles auf Preis und Anpassungsfähigkeit und arbeitet ohne einen vorher festgelegten Katalog, sondern auf Kundenwunsch: «Wenn Sie präzis, ehrlich, respektvoll und diskret arbeiten», sagt Voumard, «bleibt die Kundschaft sehr loyal.» |


 

Aus Watch Around N° 28
Mai 2018

 
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